Thomas Berger: „aus der tiefsten Tiefe meines Herzens“ ̶ Albert Camus und die Liebe, in: SCHREIBTISCH. Literarisches Journal, Ausgabe 2022,
edition federleicht, S. 172-179
̶ AUSZÜGE ̶
Im Leben und Wirken des algerisch-französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, geboren 1913 in Mondovi (Algerien), gestorben 1960 bei Villeblevin (Frankreich), spielte die Liebe immer wieder, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, eine Rolle.
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Es ist ein und dasselbe Jahr: Am 24. August 1944 wird Das Missverständnis uraufgeführt, wenige Monate zuvor, am 19. März, lernen sich Albert Camus und die Schauspielerin Maria Casarès (1922-1996) in Paris bei dem Ethnologen und Dichter Michel Leiris (1901-1990) und dessen Ehefrau Louise ‚Zette‘ Leiris (1902-1988) kennen. Camus führt dort Regie bei der szenischen Lesung des surrealistischen Stücks Le désir attrapé par la queue von Pablo Picasso (1881-1973), das von Paul Celan (1920-1970) übersetzt wurde: Wie man Wünsche beim Schwanz packt (1954). Camus bietet ihr die Rolle in Das Missverständnis an, die sie vom 24. Juni 1944 an spielen wird.
Und nun geschieht etwas mit dem an zahlreiche amouröse Abenteuer gewöhnten Camus, was wir erst jetzt, dank einer 1568 Seiten umfassenden Neuerscheinung, erfahren: Er wird während der Proben für Le Malentendu durch Maria Casarès von einem „Blitz“ getroffen und ist seitdem vollständig von der „Macht der Liebe“ zu einem einzigen (!) Menschen durchdrungen – von einer Gewalt, die er als „Fieber“, „Anspruch“ und „Wahnsinn“ umschreibt. Am 6. Juni 1944, dem historischen Datum der Landung der Westalliierten in der Normandie, bindet die Liebe den Schriftsteller und die Schauspielerin aneinander. Ihren Liebesbund halten sie nicht geheim, auch wenn Camus ihn, im Unterschied zu anderen ihn bewegenden Fragen, nie öffentlich thematisieren wird.
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