Der fremde Archivar


Thomas Berger, Der fremde Archivar
edition federleicht, ISBN 978-3-946112-80-8, 292 Seiten
Auszug

Von dir weiß man gar nichts, was machst du eigentlich mit deinem Geld? Die Bemerkung, eher kaum verhüllter Vorwurf als schlichte Frage, ließ ein Kollege Achims während einer Arbeitspause fallen. Die Worte des beinahe zwanzig Jahre Älteren kamen Achim der Situation unangemessen vor, weshalb er nicht geneigt war zu antworten; denn er hatte Berthold, den kräftig gebauten Mann mit feistem Nacken, der ein großer Musikliebhaber war, lediglich gefragt, ob er an der Übernahme einiger Tonträger interessiert sei. Von diesen besaß er Dubletten. Concerti Grossi von Corelli, Improptus Schuberts und Préludes von Chopin.

Es war, als habe sich die missbilligende Äußerung lange Zeit zurückhalten lassen, nun aber plötzlich ihr Recht geltend gemacht. Es stimmte zweifellos: Achim war, obwohl er schon fünfzehn Jahre im Hessischen Staatsarchiv Marburg arbeitete, ungewöhnlich reserviert, geradezu wortkarg, was die Mitteilung über private Dinge betraf. Schon als Knabe hatte er, waren Besucher im Familienkreis zugegen, meist stundenlang dabeigesessen, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Er hatte kein Bedürfnis gespürt, sich mitzuteilen. Die Rolle des Beobachters und Zuhörers war ihm ganz natürlich erschienen. Später nahm er wahr, dass ein derartiges Verhalten wenig Beifall fand, dass man rasch als eigenbrötlerisch eingestuft wurde. Und so änderte sich allmählich sein Auftreten: Um nicht durch Missfallensäußerungen belästigt zu werden, schwieg er seltener, redete mehr – erzählte allerdings kaum einmal etwas von sich und auch nur dann, wenn er unmittelbar gebeten wurde. Auch behagte es ihm nicht, andere zu duzen, nur weil sie zum Beispiel den gleichen Arbeitgeber hatten. Legten sie aber Wert darauf, gab er jedes Mal nach. Einander Du zu sagen, empfand er beinahe als Grenzüberschreitung: Es erweckte den Eindruck von Vertrautheit, die, zumindest was ihn betraf, gar nicht bestand.

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