MAINZER ERZÄHLUNGEN
Thomas Berger
MITTEN IM NEUEN DAS ALTE
Über Johannes Chwaleks Erzählung
Die Biertischgarnitur
„Eine neue Geschichte begann: die Verteilung des kleinen Erbes und der Verkauf des Hauses. Diese neue Geschichte war indessen noch immer die alte, wie ich bald merkte. Es käme nur darauf an, sie neu zu erzählen.“ Mit diesen Worten endet der Roman Gespräche am Teetisch, den der Mainzer Gymnasiallehrer und Schriftsteller Johannes Chwalek 2019 im Verlag edition federleicht veröffentlichte. Wir erhalten darin Einblicke in das Innenleben einer Familie, deren äußeres Erscheinungsbild den Vorstellungen wohlgeordneten Zusammenlebens entspricht. Der Ich-Erzähler Jeannot enthüllt schonungslos die wahren familiären Verhältnisse, in denen nach dem frühen Tod der Mutter der stets lediglich als „biologischer Vater“ bezeichnete Erzeuger, fünf Geschwister sowie zwei weitere Kinder aus der Beziehung zwischen dem Vater und der Stiefmutter unheilvoll verwoben sind.
Nun, in Die Biertischgarnitur. Eine Erbengeschichte, erschienen 2021 im Scholastika Verlag (1), sind der gleichgültige Vater und die ihre nichtleiblichen Kinder gröblich missachtende und erniedrigende Stiefmutter tot. Ist die Zeit des Schreckens (2) vorüber? Der Schluss des Romans Gespräche am Teetisch lässt erahnen, in welcher Weise die Auseinandersetzungen der Erbengemeinschaft, bestehend aus Jeannot, seinen noch lebenden vollbürtigen Geschwistern Bert, Udo und Gerlinde sowie den beiden jüngeren Halbgeschwistern Ulrike und Karl, verlaufen werden.
Im ersten Teil der Erzählung, der den Titel Gang durchs Haus trägt, stellt der Verfasser den Lesern anschaulich Gedanken und Empfindungen des Protagonisten Jeannot vor Augen, die sich ihm jetzt, beim ersten Aufenthalt im Elternhaus nach über vier Jahrzehnten, quälend aufdrängen: Es sind die grauenvollen Jahre der Kindheit, die durch die Wahrnehmung der Räume und des Inventars wachgerufen werden.
Der zweite Teil, Die Biertischgarnitur, zeigt die Streitereien der Erbberechtigten. Wird das elterliche Haus, in dem Udo wohnt, verkauft? Warum dauert es länger als ein Jahr, ehe Udo auszieht? Werden sich die entzweiten Erben, die mittlerweile über Anwälte miteinander verkehren, am Ende einigen? Ungeklärte Abbuchungen, fehlende Kontoauszüge, verschwundener Schmuck befeuern den Unfrieden. Schließlich: Was hat es mit der titelgebenden Biertischgarnitur auf sich, die Jeannot kurz nach dem Räumungstag mitgenommen hatte? Muss er sie trotz ihres geringen Wertes zurückgeben?
Mit erzählerischem Geschick führt uns Johannes Chwalek durch die emotionalen Abgründe und das juristische Dickicht eines Erbfalles. Indem der Autor Gespräche am Teetisch und Die Biertischgarnitur eng miteinander verknüpft, legt er auf besondere Weise Zeugnis von der Wahrheit ab, die Friedrich Schiller in die Worte kleidete:
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären. (3)
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(1) Johannes Chwalek, Skizzen eines Schachspielers. Erzählungen,
Scholastika Verlag, Stuttgart 2021, Seiten 4−83
(2) Thomas Berger, Zeit des Schreckens. Über das Buch Gespräche am Teetisch
von Johannes Chwalek (Rezension)
(3) Friedrich Schiller, Wallenstein, Die Piccolomini, Fünfter Aufzug, Erster
Auftritt, Octavio