Mein Jahr mit Corona


Mein Jahr mit Corona

 

Der Anfang

 

Corona ist kein Kinderspiel. Ich habe es am 28. Februar 2020 festgestellt, als mir klar wurde, dass wir die Immigrationsbuchmesse, die am 7. und 8. März hätte stattfinden sollen, würden absagen müssen. Zuerst aus Sorge, dass die Referenten und das Publikum wegbleiben würden, aber dann auch, weil uns deutlich wurde, dass wir als kleines Vorbereitungsteam die gesundheitlichen Standards gar nicht einhalten, einen Infektionsschutz nicht gewährleisten konnten.

 

Dass kurz darauf eine Lawine von Veranstaltungsabsagen folgen würde, war zu dem Zeitpunkt öffentlich noch kaum greifbar. Doch dann hat sich alles immer mehr verdichtet: Hier entsteht eine gefährliche Pandemie und diese entwickelt sich rasant weiter. Die Leipziger Buchmesse, die für alle Schreibenden sehr wichtig ist, fiel aus.

 

Ich war früh gewarnt, durch die Angst um meinen Mann, der zur höchsten Risikogruppe gehört. Er hatte Anfang März gerade eine OP überstanden und war in der Mobilitätsphase. Und jetzt sollte er mir an Corona sterben?? Ich spürte aber, diese Krise betrifft auch andere und nicht nur mich. Ich durfte nicht nur an mich, meinen Mann und mein Kind denken. Mitte März war klar, dass da sehr schwierige Zeiten auf uns zukamen, denn es zeichnete sich ab, dass das mit Medikament und Impfstoff so bald nichts werden würde.

 

Ich fühlte mich wie in einem amerikanischen Katastrophenfilm, an dessen Ende, wenn die feindliche Invasion vorübergezogen ist, der Held und seine Gefährtin einsam über die Ruinen stiefeln. Nur dass das hier kein Fantasiemärchen war, aus dem man aufwachen konnte. So schwankte ich ständig zwischen der Sorge um meine Liebsten und der Hoffnung auf die Erfolge von Forschung, Medizin und Politik.

 

Andere Menschen waren in noch viel extremeren Situationen. Das wusste ich. Aber wie konnte ich mir das erfolgreich vor Augen halten, wenn mir die eigene Situation schwierig genug erschien?

 

Die Geduld aufzubringen, den Prozess hinzuziehen und es länger in dieser Situation der Isolation auszuhalten, um damit Leben zu retten, war eine große Herausforderung.

 

 

Vom Ausnahmezustand zur Alltagssituation

 

Im April war es in der häuslichen Isolation schöner als erwartet. Wir feierten Ostern und Geburtstage und das Wetter spielte auch mit. Ich hatte das Glück, mich zwischen zwei Stockwerken bewegen zu können und von den Balkons aus in die blühenden Bäume und das ausschlagende Grün blicken zu dürfen. Manchmal führte mein Weg ins Freie. Mund-Nasenschutz auf und los. Aber das hauptsächliche Leben spielte sich zu Hause ab – unterstützt durch die weite Welt des Internets, das die Wege zu anderen Kontakten ebnete. Fast fühlte ich mich im Idyll. Die beiden Menschen, die mir die wichtigsten waren, hatte ich um mich herum, draußen schien die Sonne und ein paar neue Schreibprojekte beschäftigten mich auch.

Im Mai traten die ersten Gewöhnungseffekte ein. Es wurde normal, eine Maske überzuziehen, wenn man einen Supermarkt betrat, und überall auf Absperrbänder zu stoßen. Um seine Mitmenschen machte man halt einen Bogen. Der fade Nachgeschmack, der blieb, wenn man anderen nun ständig auf diese Weise begegnete, ließ sich nicht wegdiskutieren. Alles war noch lange nicht normal. Normal war nur, dass es einen nicht mehr wunderte.

Auch die seltsam strukturarmen Tage, die einen erwarteten, wenn man morgens aufwachte, hatten nun schon etwas Selbstverständliches. Harmlose Aktionen waren mit mehr Aufwand verbunden. Ein kleiner Ausflug wurde gefühlt zur Reise, drei Stunden am Schreibtisch waren so anstrengend wie sonst ein Tag.

Eine neue Bescheidenheit war auch da. Wir stellten fest, dass wir viel weniger benötigten, als wir im Vorjahr noch konsumiert hatten: Reisen, Kleidung, äußeres Erscheinungsbild. Das Bedürfnis, Freunde und Kollegen zu sehen, aber wuchs.

 

Nicht nur die Politiker lechzten nach Lockerungen. Bei den Menschen war da die Sehnsucht, dass, wenn die Beschränkungen weg wären, auch das Virus weg sei. Was, wenn alle an die Ostsee strömen wollen, wenn dieses wieder erlaubt ist?

Noch glaubte ich an einen heißen Herbst. Aber dann fielen auch schon die für August / September 2020  geplanten Literaturveranstaltungen ins Wasser.

Ich sah die abgeflachte Infektionskurve, die sich ergaben würde, wenn man den Shutdown konsequent durchführte. Die Kurve zog sich sehr in die Länge und zeigte eine Wellenbewegung.

Und so wird es auch kommen, dachte ich: Es wird ein langfristiges Auf und Ab geben mit Erlaubtem und Verbotenem, sinkenden und steigenden Zahlen und mit einer „Normalität“, die mal mit starken, dann wieder mit schwächeren Elementen der Krisenhaftigkeit durchsetzt ist: Masken, Distanz, mangelnde Bewegungsfreiheit, eingeschränkte Kontakte.

 

Für uns Literaten war und blieb es eine schwierige Zeit. Keine Messen, keine Lesungen. Wir konnten zwar viel schreiben, aber nicht alles ins Gespräch bringen, was wir geschrieben haben. Wir mussten akzeptieren, dass die Gesellschaft die Künste nur bedingt als „systemrelevant“ anerkennt – auch wenn ihr ohne sie eine seelische Verarmung droht. Von den Künsten ist die Literatur die unauffälligste.

 

 

Der trügerische Sommer

 

Ja, wir haben Urlaub gemacht, mein Mann und ich, eine Woche im schönen Lübeck, im Hotel, mit Mindestabstand und Maskentragen beim Betreten des Frühstücksraums. Einen Tag im Strandkorb am Timmendorfer Strand, ein anderer in Travemünde – aus der Sicht  gewohnten Anspruchsdenkens heraus ein bescheidener Urlaub, für mich die schönste Woche in dem bedrückenden Jahr.

 

So wird es vielen gegangen sein. Ein paar Tage am Meer, wenn überhaupt. Und es gab auch ein paar Veranstaltungen, mit Hygienekonzept, die machten Spaß, denn man begegnete sich irgendwie. Und ich war optimistisch, denn ich arbeitete an mehr als einem Buch. Man glaubte, alles sei bald überwunden. Doch dann kam der lange Winter 2020 /2021, den wir jetzt alle in den Knochen haben. Es wurde wieder still. Erst kam, im November, der Lockdown Light, der noch den Besuch von Geschäften und Friseuren erlaubte, und dann versank alles im Zweiten Lockdown. Bis Weihnachten mussten die Kinder in die Schulen, aber Januar 2021 bekamen sie Distanzunterricht. Impfstoffe, die Hoffnungsträger, wurden entwickelt, zugelassen und bestellt, Impfzentren wurden aus dem Boden gestampft. Trotzdem war zu schnell zu wenig Impfstoff da. Hoffnungen auf ein baldiges Durchimpfen der Bevölkerung schwanden.

Und der Winter ist lang. Der Lockdown wird verlängert und wieder verlängert, weil hochinfektiöse Mutationen in Verbreitung sind. Und die Menschen werden immer stiller. Sie ermatten und sie verlieren ihre letzten kommunikativen Energien.

 

Ich habe viel am Schreibtisch gearbeitet. Die Arbeit an meinen Projekten hat mich aufrechterhalten. Aber jetzt gibt es kaum Nachfrage. Wieder hoffe ich auf einen Sommer, der Leben in die Geschäfte bringt. Und schon ahne ich, es bleibt schwierig. Corona hat meine beruflichen Möglichkeiten extrem reduziert, genauso meine Freizeitgestaltung stark eingeschränkt. Aus der Sicht anderer ist das vielleicht Jammern auf hohem Niveau. Vielleicht ist es angezeigt, umzudenken: nicht so viel beklagen, was ich jetzt nicht machen kann, sondern überlegen, was noch möglich ist und das wertschätzen.

 

Susanne Konrad, 26. Januar 2021