Juana in Mexiko
Die Berichte über deinen Aufenthalt in Mexiko haben deine Arbeitskollegen in Deutschland teilweise gefesselt, sagte ich zu Juana und verwies auf eine Frau, die ihre, Juanas Zeilen, sogar an ihren Arbeitsplatz mitgenommen hat, um während mechanischer Verrichtungen immer wieder den Blick darauf werfen zu können, teilweise aber auch befremdet wegen ihrer Länge. Aber gerade die Länge der Berichte lässt aufmerken, sagte ich zu Juana. Versuche es doch und beschreibe dein Jahr in Mexiko, forderte ich Juana auf. Vielleicht gerätst du beim Schreiben in Fluss und merkst, dass es eine Form der Lebensäußerung darstellt, die du nicht mehr missen willst. Es geht nicht nur darum, deine Erinnerungen niederzuschreiben, sagte ich zu Juana, Erinnerungen an die Vorbereitungszeit bei verschiedenen Ordensschwestern in Deutschland, die Zusammenarbeit mit den Schwestern und Kindern in Mexiko, die Sprachschwierigkeiten zu Anfang, die Geduld der Schwestern und die schier endlose Geduld der Kinder (die sich aber auch ihren Spaß mit deinem zunächst noch unvollkommenen Spanisch machten), die Gefahren mit einem Skorpion-Biss, Gott sei Dank einem kleinen und anscheinend nicht sehr giftigen Skorpion, der sich in deinem Handtuch verkrochen und dessen Stich unterhalb der linken Brust dir eine Zeitlang Schmerzen verursacht hatte, gerade zu der Zeit, als du allein warst und keine Schwestern oder Kinder zu deiner Hilfe hätten herbeieilen können, aber auch einen großen Skorpion, ja einen Riesen-Skorpion, der euch alle heillos erschreckt hat, aber glücklicherweise rechtzeitig entdeckt worden war, oder die kleinen Frösche und die – für deutsche Verhältnisse – überdimensionalen Kröten, die sich in euer Haus verloren und die du, weil die Schwestern bei ihrem Anblick von Ekel gepackt waren, entweder mit der Hand, wie im Fall der Frösche, oder mit einem Besen, wie im Fall der Kröten, nach draußen befördertest. Es geht vor allem darum, das Schreiben als einen Weg zu begreifen, bei dem du selbst nicht genau weißt, wohin du geführt wirst … Aber was geschieht noch beim Schreiben, hätte ich Juana fragen sollen. Kann ich mich von meinem Gegenstand befreien oder vertiefe ich mich darin, dass er zur Obsession wird? Im Falle deines Aufenthaltes in Mexiko, hätte ich zu Juana sagen sollen, habe ich bisher nur von äußeren Dingen gesprochen, die dich betrafen. Was war mit den inneren? Was hat der Aufenthalt in Mexiko für dich bedeutet, außer dass du Land und Leute kennen gelernt hast und das südamerikanische Spanisch vom europäischen unterscheiden kannst? Aber vielleicht interessieren dich solche Fragen gar nicht, hätte ich allenfalls noch zu Juana sagen können, vielleicht wärst du zufrieden mit der Beschreibung äußerer Abläufe, die nur hin und wieder von innerem Empfinden und Einschätzungen reflektiert wären … Nur eines noch hätte ich Juana sagen können, nämlich dass ein überschaubarer Lebensabschnitt, wie es ihr knapp einjähriger Aufenthalt in Mexiko zweifellos darstellt, sich hervorragend eignet, beschrieben zu werden. Immer benötigen wir zum Schreiben, neben dem besonderen Sujet, irgendeine Art von Rahmen, meistens zeitlicher oder örtlicher Natur: eine Deutschstunde, eine Familiengeschichte in mehreren Generationen, eine Ausfahrt zum Fischfang oder was auch immer. Wenn ich unseren Tübingen-Aufenthalt beschreiben würde (wozu mich meine übrigen Verpflichtungen aber keineswegs berechtigten!), nur fünf Tage mit An- und Rückfahrt, wäre es ein überschaubarerer Rahmen als dein knapp einjähriger Mexiko-Aufenthalt, hätte ich vielleicht abschließend zu Juana gesagt, aber was bedeutet das am Ende? Beim Schreiben vermischen sich die Zeiten …