Wer kann sagen, wir haben gelernt? Teil 2


Wer kann sagen, wir haben gelernt? Teil 2

 

 

Foto: Johannes Chwalek

 

Die Gefallenen des Ersten Weltkriegs – „EUER OPFERTOD DES VATERLANDES WIEDERGEBURT UND LEBEN“?

 

I

Auf dem Mainzer Hauptfriedhof wurde im Jahr 1928 eine Gedächtnishalle eingeweiht für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. An der Mauer des Friedhofs erinnern Steinplatten an die Gefallenen einzelner Regimenter. Darauf ist zu lesen:

 

DIE STOLZE ERINNERUNG AN DAS REGIMENT UND SEINE TOTEN LEBEN IN DER GESCHICHTE UND BEI DEN EHEMALIGEN KAMERADEN WEITER

 

UNSEREN GEFALLENEN IN TREUE GEWIDMET VON DANKBAREN KAMERADEN

 

DES VOLKES WOHL DAS STERBEND WIR ERSTREBT SCHAFFT IHRS DIE IHR DURCH UNSRE OPFER LEBT

 

PRO PATRIA MORI

 

DEM VATERLAND GETREUE BLEIB ICH BIS IN DEN TOD

 

DASS IHR TOD INS LEBENDE ERMUTET, DASS SIE ZUR UNWÜRD’GE NICHT GEBLUTET, DAS BEWEISE DEUTSCHES VATERLAND

 

 

II

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler zitiert in seinem Buch „DER GROSSE KRIEG. DIE WELT 1914-1918“ die Kriegserfahrung des Theologiestudenten Gerhard Gürtler, der zum Artilleristen ausgebildet worden war. Über eine Schlacht an der Westfront schreibt der Einundzwanzigjährige:

 

„Die Erde bebt und zittert wie ein Stück Sülze, Leuchtkugeln erhellen die Dukelheit mit ihrem weißen, gelben, grünen und roten Licht und lassen die langen, einsamen Pappelstümpfe unheimliche Schatten werfen. Und wir sitzen zwischen Bergen von Munition, teilweise bis zu den Knien im Wasser, und schießen und schießen, während rings um uns Granate um Granate den lehmigen Boden aufwühlt, unsere Stellung zerfetzt, Bäume ausreißt, das Haus hinter uns dem Erdboden gleichmacht und uns mit nassem Dreck bewirft, so daß wir aussehen, als kämen wir aus dem Moorbad. […] Das Rohr ist glühend heiß, die Kartuschen brennen noch, wenn wir sie aus dem Laderaum nehmen, und immer nur heißt es: Feuern! Feuern! Feuern! Bis zur Bewußtlosigkeit.“

 

Nach der Schlacht bietet sich den Überlebenden immer das gleiche Bild:

 

„Sanitätssoldaten in langer Reihe mit ihren Tragbahren, die zur Hauptsammelstelle wollen, kleine und große Trupps Leichtverwundeter mit ihrem Notverband. Einige jammern und klagen, daß es einem den ganzen Tag im Ohre gellt und das Essen verleidet, und manche  ziehen stumm, apathisch den schmutzigen, aufgeweichten Weg mit ihren schweren kurzen Stiefeln, die nur noch Dreckklumpen sind“.

 

Viele kleine weiße Kreuze tragen die Namen der gefallenen Soldaten. Dazu bemerkt Gerhard Gürtler:

„So liegt einer neben dem anderen, Freund neben Freund, Feind neben Feind. Und in der Zeitung kann man lesen: ‚Friedlich ruhen sie an der Stätte, wo sie geblutet und gelitten haben, an der Stätte ihres Wirkens, unter den Augen ihrer lieben Kameraden, mit denen sie ins Feld gezogen, und der Donner der Kanonen grollt über ihre Gräber hin. Rache für ihren Heldentod, Tag um Tag, Nacht um Nacht …’ – Aber keiner denkt daran, daß auch der Feind noch schießt und dann die Granaten einschlagen ins Heldengrab, die Knochen mit dem Dreck in alle Winde verspritzen und sich der schlammige Grund nach Wochen über der Stätte schließt, die eines Gefallenen letzte Ruhestätte war, und nur noch ein schiefes weißes Kreuz die Stelle bezeichnet, wo er gelegen …“

(Herfried Münkler: DER GROSSE KRIEG. DIE WELT 1914-1918. Berlin 2013, S. 460f.)