Glücklich schreibt sich’s besser – warum Autorengeschichten Erfolgsgeschichten sein müssen


Glücklich schreibt sich’s besser – warum Autorengeschichten Erfolgsgeschichten sein müssen

 

„Was machst du?“

„Ich bin Schriftsteller.“

„Wo veröffentlichst du denn?“

„Meine Bücher erscheinen bei großen Verlagen, sind preisgekrönt und werden in den Buchhandlungen auf den Auslagetischen präsentiert. – Und du?“

„Ich bin auch Schriftsteller.“

„Und wo veröffentlichst du?“

„Ich veröffentliche nicht. Ich schreibe nur.“

 

Wer hat hier Recht? Wer ist im Recht? Von einem Schriftsteller wird nicht nur erwartet, dass er schreibt, sondern auch, dass er etwas darstellt. Eine Schriftstellergeschichte ist immer eine Erfolgsgeschichte. Und wenn keine Erfolgsgeschichte erkennbar ist, dann ist diese Person auch kein Schriftsteller.

 

Ein Mensch mit Verliererpose, mit traurigen Augen, gebeugter Haltung und herunterhängenden Armen kann kein Schriftsteller sein, denn Schriftsteller sind Sieger. Es geschafft zu haben, ist ein wichtigeres Kennzeichen als der Tatbestand des häufigen Schreibens. Besuchen Sie die Verlagsstände auf der Buchmesse: die Autorenfotos haben immer etwas Großartiges. Achten Sie darauf, wie Schriftsteller sich auf ihren Websiten darstellen: geistreich, selbstsicher, intellektuell-mondän und gutaussehend.

 

Warum aber ist die Erfolgsgeschichte so wichtig? Zum einen liegt es daran, dass als Schriftsteller nur der gilt, der auch als Schriftsteller sichtbar wird. Das wird er durch Veröffentlichungen, Preise und Besprechungen. Bei Publikationen in Kleinverlagen wird er von einem begrenzten Kreis, einer bestimmten Szene wahrgenommen. Will er darüber hinaus das Allgemeinpublikum erreichen, sind Veröffentlichungen in größeren Verlagen notwendig. Über diese erhält er auch die Medienpräsenz, die seinen Status festigt. Bis dorthin zu gelangen, kann es ein weiter Weg sein – ihn zu meistern, ist eine große Leistung. Hat er sie erbracht, so hat er allen Grund, stolz zu sein. Man kann genau die Erfolgsgeschichte erzählen, die von einem erwartet wird: „Ich beschreib dir meinen Weg, der mich bis hierher geführt hat.“

 

Zum anderen hat der Buchautor Vorbildcharakter für den Leser. Der Leser will den Autor nicht bemitleiden müssen. Das ist ein ganz heikles Gefühl. Der Leser möchte zum Autor aufschauen. Das kann er aber nur, wenn dieser über gewisse Statussymbole verfügt, die für den Leser nicht erreichbar sind: Verlagslabel, Auszeichnungen, Medienpräsenz. Wer das also nicht hat, der kann sich nicht Schriftsteller nennen, jedenfalls nicht in der Nähe von Lesern.

 

Für das Erreichen dieser Statussymbole ist außerordentlich viel Leistungsdenken erforderlich. Dieses ist aber nicht jedem Schreibenden eigen. Gerade Schriftsteller haben oftmals Selbstzweifel. Viele sind alles andere als Managertypen und sie müssen sich ein dickes Fell wachsen lassen, um im Literaturbetrieb zu bestehen und sich die Erfolgssymbole zu erkämpfen.

Es gibt im Leben Ungerechtigkeiten und die sind nicht nur mit der Qualität der Texte zu erklären. Als ich jung war, sind einige meiner Altersgenossen fast sprunghaft zu Erfolgsschriftstellern geworden. Ihre Texte passten zu den Verlagen und die Autoren hatten glückliche Kontakte zu wichtigen Multiplikatoren. Und sie schrieben halt sehr gut. Ich hatte damals weniger Glück. Unter meinen damaligen persönlichen Lebensbedingungen war es mir unmöglich, marktgängig zu schreiben. Ich war so sehr mit meinen Sorgen und Problemen beschäftigt, dass ich die notwendige Distanz zu mich bewegenden Themen nicht einnehmen konnte. Diese wurde aber gefordert. Die Verleger interessierten sich für die Virtuosität der Sprache und für eine kühle Haltung gegenüber den Erzählstoffen. Beides konnte ich nicht bieten.

Die geforderte literarische Distanz und das freie Spiel mit der Sprache setzen nämlich voraus, dass die Stoffe bewältigt sind. Das betont auch der Schriftsteller und Schreibdozent Arwed Vogel in seinem Fachbuch „Der Roman“ (2014): „Jedes Buch, auch jedes Kinderbuch, jeder Fantasy- und Science-Fiction-Roman, Unterhaltungsroman und Regionalkrimi, hat in irgendeiner Form mit der Persönlichkeit des Autors zu tun und gründet meistens auf ihr. Ich meine damit nicht, dass in einem Roman nur tatsächlich geschehene Ereignisse beschrieben werden sollen. Das wäre keine Literatur. Das, was geschehen ist, bezeichnen wir nach Aristoteles als Geschichtsschreibung. Literatur ist das, was geschehen sein könnte.“ (S. 23)

Meiner Meinung nach kann die Distanz für das „könnte“ derjenige einnehmen, dem es gut geht, denn er muss nicht mehr das, was geschehen ist, dauernd verarbeiten.

Der glückliche Mensch hat Zeit für Gedankenspiele, hat Raum für Plots, die nicht so eng an seiner eigenen Biografie kleben. Er ist einfach unabhängiger, steht über den Dingen, hat dann auch eine glücklichere Hand bei seinen Formulierungen – und ist so erfolgstauglicher. Von einem guten Schriftsteller wird nämlich auch erwartet, dass er Abstand zu sich selbst und zu seinen Stoffen hat. Es wird vorausgesetzt, dass er immer ein wenig „darüber“ steht, denn die Richtung des Erfolges zeigt stets aufwärts. Gelingt ihm das nicht, dann ist seine Literatur „zu autobiografisch“. Der Autor ist dann befangen in sich selbst, und das spüren Verleger und Agenten, dann werden die Manuskriptangebote abgelehnt.

 

Interessant ist, wenn ein Schriftsteller erst einmal einen Namen hat, dann werden seine persönlichen Probleme wieder salonfähig. Dann darf er autobiografische Schriften verfassen und darüber sprechen, was ihm widerfahren ist oder was ihn in seinem Leben bedrückt hat. Dann muss die Schriftstellergeschichte auch nicht mehr ausdrücklich eine Erfolgsgeschichte sein, es darf vom Scheitern, von Ängsten und Niederlagen gesprochen werden. Aber bis es so weit ist, sollte der Schriftsteller sich absichern und nach außen einen sehr souveränen Eindruck vermitteln.  Das Publikum will einen glücklichen, keinen leidenden Autor, denn es will sich in ihm spiegeln.

 

Was aber soll ich machen, wenn ich das nicht bieten kann? Wenn ich meine Erfolgsgeschichte auch nach Jahrzehnten schriftstellerischer Bemühungen nicht so schreiben kann, wie ich es gern würde? Folgendes ist möglich: Erfolg ist eine relative Größe, und die Erfolgsgeschichte ist es auch. Ich bin zurzeit in solchen Kontexten erfolgreich, wo ich die oben beschriebene Gewinner-und-Vorbild-Rolle gut einnehmen kann: Wenn ich über Migration schreibe oder über meine Stadt. Mit persönlicheren Stoffen klappt es noch nicht so gut – offenbar bin ich noch zu stark involviert. Auf dem Buchmessen-Rahmenprogramm  „open books“ 2015 hatte ich richtig Angst, aus meinem neuen Roman zu lesen.  Angst, man starre durch die Buchseiten hindurch in meine offenen Wunden. In der Tat passiert es mir öfter, trotz bereits etlicher zurückliegender glücklicher Jahre, dass nicht ich schreibe, sondern dass „es“ mich schreibt. Ich bin der Meinung, Plots zu erfinden, dabei rekonstruiere ich nur Strukturen, die längst in mir vorhanden sind, deren ich mir aber nicht bewusst bin. Die Stoffe realisieren sich später in meinem wirklichen Leben: eigene spätere Krankheiten, eigene Verlusterlebnisse habe ich so in Texten antizipiert. Ich wage aber zu behaupten: Wenn das Unbewusste hinterrücks lauert, stellt man sich beim Schreiben mehr autobiografische Fallen, als wenn das Innenleben gut aufgeräumt ist. Und das ist es beim glücklichen Menschen. Dieser kann leichter zum Ideal, zum Vorbild werden und als Schriftsteller Erfolgsgeschichte schreiben.