Ein Zauber leiht mir Schwingen, Fortsetzung


Ein Zauber leiht mir Schwingen

Anmerkungen zu Petrarca, vierter Teil

 

Der Bruch in Petrarcas von Laura geprägter Welt besteht darin, dass sein klarer Sinn / Beglückt sich löst, sobald er ihrer ansichtig wird, dass alles Weh vergangen ist – aber nur in seinem Inneren! (Piovonmi amare lagrime dal viso) Laura stellt zusätzlich die Außen­welt dar, die nicht mitspielt! Wie ist das möglich, wenn das Innere vollständig absorbiert wird von der Liebe? Wie soll noch etwas übrigbleiben, um den Umstand einzuschätzen, dass die restlos Verehrte scheidet ( … ) mit höflichem Gebaren, also kühl zu verstehen gibt, dass Petrarcas Inneres >nicht alles ist auf Erden<?, fragte ich Juana. Der blitzartig durch holdes Lächeln beglückte Petrarca versinkt ebenso schnell zurück in Wintersnacht, sobald er des Bruches gewahr wird. Immerhin: Auch wenn das durch Laura ausgelöste Gefühl keinen Anschluss findet in der äußeren Welt – es ist doch da und hallt im Innren fort! >Der Bruch<, auch wenn er sich noch am Schönsten offenbart, ist leichter auszuhalten (wie alles andere des übrigen Lebens auch)! Das ist der Trumpf und Trotz des Liebenden: Zur Liebsten träumet sich der Seele Lust… Lauras Schönheit ist allzuschön, sie wirkt wie ein Gift, süß zwar, himmlisch süß, aber doch ein Gift, das ihn verwirrt, blendetund den Anblick nicht ertragen lässt. Fliehen will er – aber wohin? In die Einsamkeit – ja! Aber ist dort Frieden für ihn zu finden vor dem durch Lauras Schönheit aufgewühlten Inneren? Natürlich nicht, denn dieses aufgewühlte Innere trägt er mit in die Einsamkeit, er kann es nicht ablegen wie einen alten Mantel. Verlassen weint er der Verbannung Zähren (Quand´io son tutto volto in quella parte) Welche Rettung kann es jetzt noch geben? Nur noch eine der ultima ratio in Liebesangelegenheiten, den Tod? Das wäre die romantische Art zu sterben: für die verschmähende Geliebte! Der kleine Herr Friedemann in Thomas Manns gleichnamiger Erzählung scheint diese Art des Lebensausgangs zu wählen, wenn er nach einem fehlgeschlagenen Bekenntnis gegenüber der hochverehrten Frau von Rinnlingen bäuchlings „am Wasser“ (eines Flusses) liegt und den Kopf ins erlösende Element fallen lässt. ( In meiner Erinnerung tat er dies immer wieder, bis zum Wahnsinn und zur völligen Erschöpfung, sagte ich zu Juana, aber als ich nachlas, war es doch anders: „Auf dem Bauche schob er sich noch weiter vorwärts, erhob den Oberkörper und ließ ihn ins Wasser fallen. Er hob den Kopf nicht wieder; nicht einmal die Beine, die am Ufer lagen, bewegte er mehr.“ >Im Schönen zu zeugen< ist vielleicht eine Platon-Formulierung, die ich momentan nicht mehr recht verorten kann, sagte ich zu Juana; der kleine und arme Herr Friedemann hat das abgewandelt zu: Im Gedanken an das Schöne [die Schöne] zu sterben … Aber weiter von Petrarca! ) Heute im Bus fiel mir ein, dass Petrarca auf Lauras >Naturschönheit< mit >Kunstschönheit< reagiert hat und … (da war noch etwas, was der Banalität von „auf Lauras >Naturschönheit< mit >Kunstschönheit< reagiert“ erst einen annehmbaren Sinn gab, aber jetzt ist mir das entfallen …). Das chaotischste Gefühl in der Wirklichkeit muss sich in der Kunst in die Form (des Sonetts) bequemen – und macht dabei den >gewöhnlichen unglücklich Verliebten< zu jemand, der seinen Liebesschmerz zu schätzen weiß. Nun geht es nicht mehr ausschließlich um Laura, ob sie will oder nicht will, oder wenigstens freundlich lächelt, statt kühl zu blitzen usw., sondern Petrarca ringt im Geist mit einem weiteren weiblichen Wesen, der Muse der Dichtkunst, die ihm einerseits zu schaffen macht, weil jeder arme Vers in Stücke bricht, andererseits aber auch Entlastung bringt vor der enervierenden Fixierung auf Laura. Die Kunst lässt es sich auch gefallen, dass er wider die Tatsachen behauptet, er habe noch nicht gesungen / Der Schönheit Preis, der seiner Herrin gebührt. (Vergognando talor, che ancor si taccia) Hat er es im Gegenteil doch schon oft getan! Die entscheidende Frage lautet: Was lässt sich im Anblick blendender Schönheit mit Worten ausdrücken? Wie schwach sind Worte vor der Naturgewalt der Schönheit vor mir und dem Entzücken in mir! Die höchsten Höhen des Geistes vermögen nicht mehr, als das Werk misslungenerscheinen zu lassen. Was uns Verdruss bereitet oder nur mit Humor zu ertragen ist: die Halbheiten bei uns und anderen, der Staub des Alltags – es ist anscheinend auch Lebenselement für uns, die wir bange werden vor Himmelsnähe. (Das sind Begriffe!, wiederholte ich mich vor Juana. Soll man sie heute überhaupt noch zitieren? Gibt es die überwältigende Schönheitserfahrung heute nicht mehr, nicht mehr beim andren Geschlecht, nicht mehr in der Natur? Oder haben wir nur keine Worte dafür, die uns nicht peinlich sind?) Aber du hast gemerkt, Juana, sagte ich zu Juana: Der >Bruch<, der von Laura für Petrarca ausgeht (dass sie seinem großen Gefühl für sie nicht damit antwortet, ihm in die Arme zu fliegen), besteht in gewisser Weise auch bei Petrarca selbst: Er vermag es nicht, seinem großen Gefühl für sie den angemessenen Ausdruck zu geben …

(wird fortgesetzt)