Rezension von Susanne Konrad
Joachim Durrang: Die steinernen Männer. Gedichte. Axel Dielmann Verlag, 2019
ISBN 978 3 86638 269 5
Mythologie und Sexualität
Was Mythologie und Sexualität miteinander verbindet, ist der Körper. Der idealisierte und rauschhafte, aber auch der mit dem Sog der Unterwelt ringende Leib. Im Gegensatz zu den Gottheiten der monotheistischen Religionen sind die Viel-Götter der mythischen Glaubensvorstellungen immer körperlich vor- und dargestellt: nicht alle schön, manche halb Mensch, halb Tier, einige reizvolle Frauen und besonders gutaussehende Männer – muskulös und attraktiv, in ihrer Gestalt vollkommen und meistens Gegenstand der Sehnsucht des Betrachters. Auf die Sexualität trifft Ähnliches zu. Sie braucht den Leib. Aber auch sie erreicht in der Vision nur dann Vollkommenheit, wenn sie an den idealen Körper gekoppelt ist. Dieser bleibt oftmals ein Traumgebilde – wie die schönen Männer der altgriechischen Kunst.
Um diesen Themenkreis bewegen sich die Gedichte mit dem Titel „Die steinernen Männer“ von Joachim Durrang. Steinern sind die Männer, weil sie aus Sicht der sexuellen Sehnsuchtsprojektion leider nicht aus Fleisch und Blut sind, steinern sind sie auch als Skulpturen der griechischen Antike. So wird es im titelgebenden Gedicht angedeutet. Im Spannungsfeld zwischen Stein und Fleisch changieren die reimlosen Miniaturen des 1957 im Saarland geborenen, seit 1978 in Frankfurt am Main lebenden Lyrikers, der zuvor fünf Gedichtbände veröffentlicht hat und dessen Werk teilweise im Saar-Lor-Lux-Literaturarchiv an der Universität Saarbrücken aufbewahrt wird.
Während es am Anfang des Buches um Kunst und Körper geht, wird im Mittelteil besonders stark auf die griechische Mythologie angespielt. Und gegen Ende nehmen die Gedichte zu, die direkt auf Sexualität referieren. Formal gegliedert ist der 82 Seiten starke und mit einer Hör-CD ausgestattete Band jedoch nicht.
Sowohl die Mythologie als auch die Sexualität scheinen in Durrangs Gedichten in sehr verschiedenartigem Lichte auf: Poseidon im Meer („In der Flut“) , der weibliche Satyr („Salomes Tanz“), Minotaurus und der Faun („Tiergesänge“) und viele andere mythische Gestalten bewegen sich durch die Verse. Immer wieder ist die Grenzerfahrung zwischen Menschlichem und Tierhaften von Bedeutung („Die Erscheinung“). Nicht nur die Mythologie, auch die Sexualität erscheint in verschiedenen Facetten: Sex als Täuschung („Erloschene Zeit“), Sex als Dominanz und Unterwerfung („Die Demütigung“), Sex und Krankheit („Aids“), Begegnung mit dem Weiblichen („Jetzt Magie“), Begegnung mit dem Männlichen („Spaziergang auf Haut“)… Auch hier wird immer wieder die Grenzerfahrung zwischen dem Menschlichen und dem Tierhaften betont, wie in „Der Trieb“, wo der Mensch seine tierische Wollust freisetzt und „Der Gang“, wo es um das Leid der Kreatur geht. Die Sage vom Minotaurus, dem stierköpfigen Wächter des Labyrinthes, kommt in verschiedenen Gedichten zur Sprache, zum Beispiel in „Wunderkammern“. Immer wieder wird dabei die Ambiguität von lebendigem und steinernem Körper sowie von Drangsal und Wollust thematisiert:
Wunderkammern
Zersplitterte Bilder an den Wänden
führen ins Innere des Palastes
Auf Säulen krümmen sich
verzerrte menschliche Körper in Stein
bewegen sich zu rituellen Tanzszenen
deuten auf den Schädel des Königs
Im Labyrinth schreit der Stier.
Ein schwungvoller Bogen von der Mythologie zur Sexualität wird auch direkt gespannt. Eine explizite Verknüpfung von Elementen mythischen Gehaltes wie dem „Labyrinth“ mit ungeschminkten sexuellen Empfindungen wie dem „Alptraum hoher Lust“ zeigt sich zum Beispiel in dem Gedicht „Verwerfung“.
Joachim Durrangs Gedichte sind gut zu lesen, weil die Themen, deren er sich annimmt, ehrlich und klar sind. In recht direkten Anspielungen werden die Zusammenhänge sichtbar gemacht, trotzdem ist die Wortwahl vielfältig und poetisch. Im Aufbau sind die kurzen Gedichte manchmal etwas gleichartig, hier hätte ich mir mehr Experimentierlust mit der Form gewünscht. Der auch für seine abwechslungsreichen Langgedichte bekannte Schriftsteller hat hier in der Vielzahl kurzer lyrischer Formen einen angemessenen Ausdruck für sein Themenfeld gefunden.
Mit der bei dem Ganzen nicht unwichtigen Frage, wo das lyrische Ich mit seinem eigenen Körper Platz im Geschehen findet, spielt Durrang in dem Gedicht „Plötzlich in der Tonne“, das mit den Zeilen schließt: [Diogenes] „…meint, es sei zu wenig Platz für uns. Such dir eine eigene Wohnung, sagt er, rollt sich auf die andere Seite.“ (S. 39)
Joachim Durrangs Gedichte lohnen die Rezeption. Es handelt sich um eine melancholisch grundierte Dichtkunst, die die Konfrontation mit den dunklen Seiten in uns nicht scheut.