Analogien # 2
04.04.2018
Rätselhaft: Des Menschen „Unbewusstes“ gleicht einem dunklen, dreidimensionalen Wirklichkeits-„Raum“, der einer-seits als Wirklichkeit ohne jegliche Extension ist. Lediglich auf der Ebene der verschiedenen Gehirn-Regionen, die an einer Wahrnehmung, an der Formung eines Gedankens, am Erleben eines Gefühles beteiligt sind, herrscht neuronale Dreidimensionalität, da die beteiligten Gehirnzentren z.B. im sog. „Cortex“ an verschiedenen Stellen beheimatet sind. Die „innere Wirklichkeit“ selbst scheint jedoch ohne räumliche Ausdehnung zu sein. Anders gesagt: Wo ist etwa bei einem Gefühl wie „Angst“ oder aber „Freude“ „oben“, „unten“, „rechts“ oder „links“? Und obschon wir es als „völlig normal“ erachten, von unserer „Persönlichkeit“ als einem Wirklichkeits-Raumzu sprechen, worin sich, wie in einer russischen „Matrjoschka“-Puppe, z.B. das „Ich“, das „Über-Ich“, das „Unterbewusste“, das „Es“, etc.pp. befindet, die wir im Modell voneinander abgrenzen können, weil wir dort, im Modell, diese Bereiche de-finieren können (lat. finis, für Grenze), so will es doch auch so scheinen, dass die Wirklichkeit unserer Persönlichkeit in andere Kategorien denn „Raum“ und „Zeit“ zu gehören scheint. Zwar ist sie subjektiv erlebbar und damit für unser Bewusst-Sein „anwesend“. Aber ist sie auch in der Dreidimensionalität eines Erklärungs-Modells analog, d.h. der Wirklichkeit entsprechend, beschreibbar? Und falls „ja“, sind Beschreibung und Erleben nicht unüberbrückbar zweierlei? Denn was wir „erleben“ ist nicht das, was wir beschreiben; und der Vorgang der begrifflichen „Beschreibung“ ist nicht mehr identisch mit dem, was wir erlebt haben. Zwischen spontanem Wirklichkeits-Vollzug des „Erlebens“ und dem nachfolgenden Vorgang des Abstrahierens als „Beschreibung“ bleibt ein „Spalt“, bleibt eine „Kluft“, bleibt die sog. „Subjekt-Objekt-Spaltung“ (vgl. Karl Jaspers).
Und weiter: Seit den frühen Anfängen der modernen Psychologie bzw. Psychopathologie galt das Griesinger-dictum: „Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten“. Erst durch das bahnbrechende Werk der „Allgemeinen Psychopathologie“ (Karl Jaspers, 1913) konnte das Durcheinander aus Methoden und Theorien sowie aus Therapie-Formen und wissenschaftlicher Forschung, die man bald verstehend, bald erklärend begründete, systematisch geklärt und jeweiligen, klar abgegrenzten Bereichen zugeordnet werden. In seinen eigenen Arbeiten konnte Jaspers zudem aufzeigen und wissenschaftlich korrekt beweisen, dass abnorme Verhaltensweisen der Persönlichkeit sehr wohl einem gesunden Gehirn entstammen können. Wo aber befindet sich dann der „Ort“ der Anomalie oder aber des krankhaften Verhaltens, wenn das Gehirn völlig intakt ist und es — nicht nur bzgl. des Unbewussten — völlig korrekt funktioniert? Wo-her stammen dann persönliche „Fehl-Leistungen“ wie etwa Phobien, Neurosen, nichtorganische Psychosen…—? Wie lassen sich solche personengebundene Wirklichkeits-Phänomene erklären, verstehen?
Nähern wir uns unserer Persönlichkeit als dem Unbewussten, so gleicht es anderer-seits einem „Raum“ mit hunderten von „Ebenen“, tausenden von „Zimmern“, zahllosen „Korridoren“ und nächtlich-dunklen „Horizonten“ — unserem „lichten Bewusst-Sein“ eine einzige, rätselhafte „Blackbox“; gleichsam der Prototyp der mythischen „Büchse der Pandora“, in der alles „Übel“ versammelt zu sein scheint. Eine einzige paradoxe Anomalie. Gleichsam der unterste „Keller“ unserer intakten Persönlichkeit, in dem all jene unlösbaren Probleme unseres Ich-Bewusstseins vorübergehend „entsorgt“ wurden und nun als Persönlichkeits-„Müll“ auf „Abholung“ oder aber „Wiedervertung“ warten. Anders als es das Sprichwort andeutet, heilt Zeit allein eben keinerlei Wunden — weder körperliche noch seelische. Vielmehr sorgt unser Unbewusstes während unserer Lebens-Zeit für unsere zukünftigen Probleme.
Welche Möglichkeiten des „Zugangs“ zu unserem Unbewussten sind uns zu eigen, haben wir zur Hand? Versuchen wir die Dunkelheit des Unbewussten mit dem gebündelten „Lichtstrahl“ des analysierenden Verstandes zu durchdringen, so will es scheinen, als ob dieser unbewusste Raum gleichsam leer sei. Denn weder finden sich „Objekte“ noch „formale Widersprüche“ in all jenen Bereichen, die die ratio zu erhellen vermag. Es ist, als ob man mit einer Taschenlampe einen finsteren Raum zielgerichtet zu durchleuchten versuche, von dem man einerseits zwar weiß, dass dessen Wände da sind, die zugleich jedoch vor dem entworfenen Lichtschein zurückweichen würden. Der Verstand vermag im Unbewussten keinerlei „Stand-Ort“ noch „Bezugs-Punkt“ zu ermitteln, denn ihm fehlt die gewohnte Dreidimensionalität seiner „Objekte“. Und mehr noch: Anomalien und Persönlichkeits-Störungen folgen einer „inneren Logik“ — Widerspruchs-frei; etwa einer durchaus logischen (wenn auch ver-rückten) „immer wenn…, dann…“-Kausalität. So könnte etwa ein Arachnophobiker sagen und davon überzeugt sein: „Immer wennich in den Keller gehe, dannsehe ich dort Hausspinnen lauern, die mich beißen wollen.“ Die Realität, dass es im Keller durchaus auch Hausspinnen gibt, ist ab-gerückt und in die Angst, mithin das Unbewusste, verschoben worden. Der Phobiker sieht also nicht die Realität, wie sie ist, sondern er fühlt seine Angst anstelle der Realität. Und durch die „Augen der Angst“ wird der reale Keller erst zur Quelle von ver-rückten Vorstellungen, Projektionen, Überzeugungen phobischer Art. Denn der Widerspruch, der Zwist, der seelische Konflikt wird nicht innerhalbder Abweichung selbst erlebt, sondern erst an der Grenze zum gesunden „Ich“-Bewusstsein als „Leid“ erfahren.
Wählen wir statt der ratio die Vernunft, die selbst für den Verstand „Irrationales“ zu erhellen vermag, so fällt deren „Lichtkegel“ zwar breiter aus, als der punktuelle „Laserstrahl“ des Verstandes — jedoch bleibt die „dunkle Seite“ des Unbewussten aktiv und es will scheinen, als ob sich diese „dunklen Seiten“ unterhalb des „Ich“-Bewusstseins lediglich auf andere Situationen verschieben würden; ad infinitum.
Der tägliche Alptraum selbst ist schöpferisch geworden und erfindet sich ständig andere, neue Facetten, „Quasi-Situationen“ — so nimmt das „Leiden“ am eigenen Alptraum kein Ende. Es ist, als ob wir die „Taschenlampe“ der ratio gegen den „1.000 Watt-Strahler“ der Vernunft getauscht hätten. Zwar wird dadurch der „Lichtkegel“ breiter und der Horizont weiter. Allein, was da schöpferisch wirkt, bleibt dem „Lichte der Vernunft“ ebenfalls un-sichtbar. Es bleibt in unerhellbarem „Dunkel“ verborgen und geborgen. Und das mag dann auch der Grund dafür sein, warum wir nicht „über unseren Schatten springen“ können oder warum wir uns in einem „Teufels-Kreislauf“befinden und wiederfinden. Denn im Schatten des Unbewussten wirkt das Bewusstsein als das Unvertraute, das Ungeheure, das andere Fremde, dem es grundsätzlich zu misstrauen gilt. Vertraut jedoch erscheint die Anomalie, die Persönlichkeits-Störung.
Nehmen wir unsere Zuflucht bei der „leuchtenden Fackel“ des hellsichtigen Geistes, so erhellt der difuse Lichtschein dieser „Leuchte“ zwar fahlhell jene Dunkelheit unseres Unbewussten, leuchtet jene Stelle aus, auf der wir in diesem Augenblick stehen — jedoch schon wenige Schritte jenseits dieses „Stand-Punktes“ verwischt alles Erkennbare und damit Verstehbare erneut in schemenhaftes, zwielichtiges Dunkel. Es ist, als ob der gebündelte Lichtstrahl des Verstandes, der breitere Lichtkegel der Vernunft sowie der difuse Lichtkreis des Geistes eines gemeinsam haben: sie vermögen das schöpferische Wesen des Unbewussten nicht zu erhellen. Es bleibt unserem „Ich“ ein Rätsel-haftes. Anders gesagt: Zwar können wir mittels unseres Verstandes einzelne Situationen unseres „verschütteten Lebens“ erinnern, zwar können wir mittels unserer Vernunft einzelne Stationen unserer verborgenen „Vergangenheit“ erneut durchleben, zwar können wir mittels unseres Geistes Erinnertes und Durchlebtes (distanziert) betrachten. Das alles ist Erforschung der Motive. Jedoch: Was die Motivation, was dieses (fehlerhafte) Lebendig-Werden-Lassen anbetrifft, so helfen uns diese drei menschlichen Vermögen bezüglich der Ursachen-Klärung sowie der Erhellung der Ursprünge keinen Schritt weiter.
Verstand / ratio, Vernunft, Geist — es ist, als ob man mit diversen „Schraubenschlüsseln“ die Programmier-Sprache, das „script“, unserer Persönlichkeit neu schreiben oder aber dechiffrieren wolle. Alle Drei gleichsam unbrauchbare „Instrumente“ auf dem Weg der „dunklen“ Selbst-Erkenntnis. Denn wie die lichten Momente unserer Persönlichkeit („Ich“-Bewusstsein, Tagesbewusstsein, u.v.a.m.) so gehören auch die „dunklen Seiten“ unseres Unbewussten wesentlich zum Ganzen unseres Lebens. Es gibt wohl keine menschliche Biographie ohne irgendwelche „Brüche“, „Blessuren“, „Verletzungen“ unterschiedlichster Art. Ob daraus jedoch „Unbewusstes“ gemacht wird, hängt entscheidend vom Grad der jeweiligen persönlichen Reife ab. Ähnlich der sog. „Kontinentaltrift“ mag heutiges Unbewusstes einstmals überfordertes „Ich“-Bewusstsein gewesen sein, bevor es in die „Seitenbereiche“ des Tagesbewusstseins, an den „Rand des Vergessens“, verdrängt wurde. Und wie „tektonische Beben“, so mag das „Drama des Unbewussten“ für manches Un-Heil in unserem Leben sorgen. Anomalien und „Verwerfungen“ der Persönlichkeit sind weder „gut“ noch „schlecht“, auch sind sie nicht, moralisch bewertet, „gut“ oder „böse“. Vielmehr sind sie essentieller Bestandteil unserer Mensch-Werdung.
Der „Öl-Tropfen“
des „Ich“-Bewusstseins
treibt
auf einem „Ozean“
des Unbewussten.