Worte wie Sterne


Worte wie Sterne

Das philosophische Langzeit-Projekt „Worte wie Sterne“

der Philosophischen Praxis gnōthi seautón, Flörsheim am Main

 

„In den Gärten der Wissenschaft“ lautet der Titel eines Werkes von al-Bīrunī (973-1048 n.Chr.), einem in Kath geborenen, persischen Universalgelehrten. Kath lag am rechten Ufer des Flusses Amudarja und war lange Zeit die Hauptstadt des Reiches Choresm, das sich südlich des Aralsees erstreckte. Heute gehört diese Gegend zu Usbekistan.

 

Erstaunlich ist, dass wir von al-Bīrunī u.a. seinen genauen Geburtstag sowie seinen genauen Geburtsort wissen: 04.Sept.973 n.Chr., in Kath. Dies lässt auf ein frühzeitig hoch entwickeltes und klar durchstrukturiertes Staatswesen der Perser schließen, das für das europäische Mittelalter des „Abendlandes“ noch lange nicht gegeben war. Hier gab es zwar Geburtsurkunden und Taufbücher für Könige und den Hochadel. Aber der einfache Mensch der Antike wie des Mittelalters wurde lediglich „geboren, arbeitete und starb“, wie dies Martin Heidegger von dem berühmten attischen Philosophen Aristoteles einmal lapidar formulierte. Weder den Hochadel noch den Klerus des europäischen Mittelalters interessierte es wirklich, wer wann wo geboren wurde und wer in welchem Weiler oder welcher Hütte starb. Das Gros der Untertanen waren sog. „Leibeigene“, die den „Zehnt“ als Steuertribut zu entrichten hatten; aber bezgl. ihres individuellen, persönlichen Lebens war ihr sozialer Status mit jenem von Ochsen, Rindern und Schweinen vergleichbar. Der einfache Mensch, der Bauer, der Leibeigene, etc. machte keine Geschichte, noch schrieb er diese (z.B. via Urkunden und anderen Dokumenten, die einzig dem priviligierten Adel sowie dem Klerus vorbehalten blieben, da diese, im Gegensatz zum einfachen Volk, lesen und schreiben konnten). Geschichte, zumal geopolitische Macht-Politik, blieb über fast 2.000 Jahre das ausschließliche Privileg der „Granden“ und „Mächtigen“.

 

Während das „Abendland“ bis ins frühe Mittelalter hinein nur vom vagen Hörensagen wusste, dass es den attischen Philosophen Aristoteles gegeben hatte, da in einer endlosen Abfolge von Kriegen seine Schriften vernichtet oder verschollen waren — erst die Übersetzerschule von Toledo übersetzte und transkribierte wichtige, antike Werke aus dem Arabischen ins Lateinische, Griechische oder Hebräische (vgl. u.a. das Lebenswerk des Italieners Gerhard von Cremona, geboren um 1114-1187) — hatte die persische Wissenschaft bereits eine Fülle von Kommentaren zu Aristoteles verfasst und war auf den Gebieten der Medizin, der Astronomie, der Geodäsie, der Logik bzw. der Philosophie u.v.a.m. seit langem schon federführend und wegweisend. Junge Gelehrte wie ein ar-Rāzī (854-925 n.Chr.; ein persischer Arzt, Naturwissenschaftler, Philosoph und Alchemist), ein Avicenna (980-1037 n.Chr.; ein persischer Arzt, „Kanon in der Medizin“, Physiker, Philosoph, Dichter, Jurist, Mathematiker, Astronom und Alchemist), oder ein Averroës (1126-1198 n.Chr.; andalusischer Arzt und „der Kommentator“ des Aristoteles), etc. standen entweder miteinander in direktem, regen Briefkontakt, tauschten ihre Ansichten, Gedanken und wissenschaftlichen Ergebnisse untereinander aus und führten einen — heute würde man sagen: „interdisziplinären“ — Diskurs quer durch alle ihnen bekannten Wissensgebiete, einschließlich der Koran-Wissenschaften. Oder aber sie hatten direkten Zugang zu den Schriften der anderen arabisch-sprechenden oder -schreibenden Universalgelehrten, so dass sie deren Gedanken kommentieren und weiterführen sowie deren wissenschaftlichen Ergebnisse bestätigen oder auch kontinuierlich korrigieren konnten. Im Rahmen eines tolerant ausgelegten Korans erblühten die persische Kultur und verschiedensten Wissenschaften dieser Epoche. (Während man im dogmatisch, fanatisch ausgerichteten Christentum dieser Tage unter dem Schlachtruf „deus vult!“ [„Gott will dies!“] zu den sog. „Kreuzzügen“ rüstete; 1. Kreuzzug nach einem Aufruf durch Papst Urban II. auf der Synode von Clermont: 1096-1099.)

 

Warum ent-falte ich dies alles, hole es erneut aus dem Bereich des Vergessenen (oder, was viel wahrscheinlicher ist: eines noch nicht Gewussten…) von jenseits des Horizontes eines Bereits-schon-einmal-Gewussten wieder her-vor, um es erneut „zur Rede“ und in die öffentliche Diskussion zu stellen? Vielleicht, weil ich davon überzeugt bin, dass in den philosophischen Bibliotheken dieser Welt sowie im Digital-Universum des Internets unzählige Schätze an Weisheits-Worten lagern, die wie Sterne in unser alltägliches Leben ausstrahlen und dieses erhellen können. Sie können uns Lebens-„Wege“ aufzeigen und gleichzeitig existentielles „Geleit“ sein. Wie seinerzeit die Gold-Nuggets am Klondike (ab 1896ff.), so gilt es heute diese „Goldenen Worte“ erneut einzusammeln; wie weiland in Namibia (1908ff.), so gilt es heute diese “ Diamanten der Weisheit“ aufzulesen. „Tolle et lege!“ (Nimm und lies!), wie es bei Augustinus („Confessiones“, Buch VIII 12,29) heißt. Ich lade Sie ein, am Lebens-Sinn-Abenteuer der Wort-Lese aktiv teilzunehmen. Denn eigentlich reich werden wir erst durch jene „Gold-Nuggets“ und „Diamanten“, die wir nie mehr verlieren können, weil wir sie uns auf der Ebene unseres Mensch-Seins, unserer eigentlichen „Existenz“, angeeignet haben. Von Kung-tse, über die fernöstlichen Zen-Meister sowie die indischen Yogis, von Marc Aurel über die christlichen „Wüstenväter“, von den osteuropäischen, jüdischen „Chassidim“ über die Sufi-Orden des islamischen Kulturkreises, bis hin zum heutigen Dalai Lama — sie alle halten wahre Schätze an Weisheits-Worten für uns Heutige bereit und zur freien Verfügung. Wir brauchen uns nur zu „bücken“, um sie aufzulesen und einzusammeln — anstatt „Weinlese“ „Wort-Lese“. Ein „Mausklick“ genügt.

Fortsetzung folgt

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