16-016
Schotten, Geiz und Wunder der Sparsamkeit
Der Kalender ist gnadenlos ehrlich. Ohne jedes Mitgefühl teilt er mir mit, dass seit meinem letzten Beitrag mehr als ein Vierteljahr vergangen ist. Bis Anfang November war ich auf Reisen, dann begann die „Winterpause“. Mit Ausnahme der Tage über Silvester, wo ich eine Tour an den Gardasee leiten werde, habe ich bis zum Frühjahr Muße, die vergangene Reisesaison zu verarbeiten.
Also habe ich mir eine kleine Auszeit gegönnt, um die Erlebnisse und Eindrücke sacken zu lassen. Das ein oder andere davon wird sich sicher in diesem Blog wiederfinden.
Dennoch, ein Vierteljahr nichts Neues geschrieben und gepostet – man könnte mir beinahe schon Geiz unterstellen. Schottisches Benehmen.
Da trifft es sich gut, dass ich selbst in Schottland gewesen bin und das mit dem Geiz an Ort und Stelle untersuchen konnte. Ich habe festgestellt: Geizig sind die Schotten nicht, sie haben nur die Eigenart, nichts umkommen zu lassen, nichts zu verschwenden – und diese Sparsamkeit bringt mitunter wundervolle Ergebnisse hervor.
Gar nicht geizig, ja geradezu verschwenderisch waren die Schotten, mit denen ich mich unterhalten habe, in der Verwendung von Schimpfworten gegenüber den Engländern. Dazu ist zu sagen, dass ich kurz nach der Brexit-Abstimmung in Schottland gewesen bin, in jenem Teil Großbritanniens, in dem nicht ein einziger Wahlbezirk für den Austritt aus der EU gestimmt hat. Und nun müssen die sehr proeuropäisch gestimmten Schotten damit leben, dass die Engländer noch nicht verwunden haben, dass ihr British Empire seit mehr als 60 Jahren perdu ist.
Als Reiseleiter bin ich ohnehin, schon von Berufs wegen, überzeugter Internationalist und Europäer. Meine Gesprächspartner erkannten also schnell, dass sie in mir einen Gleichgesinnten haben – und bedankten sich damit, dass sie Schimpfworte für die Engländer beigebracht haben, an die ich bislang nicht einmal zu denken wagte und die ich aus Respekt vielen Engländern gegenüber (denn auch dort habe ich patente Menschen kennengelernt, aber davon ein anderes Mal) nicht wiederholen werde.
Natürlich kennen die Schotten die Vorurteile ihnen gegenüber. Nahezu jeder Schotte kennt auch genügend Schottenwitze. Wie wurde der Kupferdraht erfunden? Zwei Schotten stritten sich um ein 2-Pence-Stück. Wie entstand der Grand Canyon? Einem schottischen Auswanderer rutschte eine 2-Pence-Münze in eine Erdritze und er hat so lange gebuddelt, bis er sie wiederfand.
Der Schotte ist nicht geizig, er findet Geiz auch nicht geil. Die karge Landschaft und die Geschichte haben ihn aber zur Sparsamkeit erzogen, Verschwendung ist ihm eine Greuel. Und dann hat er in die Welt hinausgesehen und Dinge entdeckt, die er schlicht nicht verstehen konnte.
Zunächst einmal hat man auch in Schottland, wie in so vielen Gegenden der Welt, das Geheimnis entdeckt, Schnaps zu brennen. Aus Korn, meistens Gerste und Roggen, sowie Wasser konnte man ein klares Destillat gewinnen, das angenehm von innen wärmte und in größeren Mengen zu Albernheit und später Kopfschmerzen führte. (Es wäre eine eigene Untersuchung wert, warum in so vielen Sprachen der Schnaps die Bezeichnung Wasser oder gar Lebenswasser erhalten hat). Dieses Destillat ist zunächst einmal so etwas Ähnliches, wie wir es in Deutschland als Kornbrand kennen.
Gleichzeitig blickten die Schotten etwas neidisch auf jene Gegenden, in denen man Wein anbauen konnte. Das hätten die Schotten selbst auch gern getan, allein Klima und Boden hatten etwas dagegen. Ganz und gar unverständlich war es ihnen jedoch, dass die Fässer, in denen der Wein reifte, nach einmaliger Verwendung weggeworfen wurden, zerhackt, verheizt oder wofür auch immer benutzt.
Welch eine Verschwendung!
In einem sehr lichten Moment muss jemand auf den Gedanken gekommen sein, diesen Fässern in Schottland ein neues Leben zu geben und sie mit dem Kornbrand zu befüllen.
Was soll ich sagen: Das Ergebnis ist sensationell. Der Brand nimmt die Weinaromen in sich auf, gleichzeitig kommen die schottischen Aromen von Torffeuer, Salzwasser, Seeluft und Heide mit dazu, und nach ein paar Jahren Wartezeit wird aus dem Destillat Lebenswasser. Lebenswasser, das heißt auf Gälisch Uisge-beatha, spricht sich etwa „Uschkebert“ – und wenn man das nach dem vierten Glas auszusprechen versucht, dann kommt so etwas wie „Whisky“ heraus.
Das Ganze hat auch für das Fass seine Vorteile: Würde es in Portugal oder Spanien nach drei, vier Jahren verschrottet, so kann es in Schottland bei drei- oder gar viermaliger Befüllung ein stolzes Alter von über 60 Jahren erreichen, eine stolze Karriere für ein kleines Fass! (Nun gut, was bei der vierten Befüllung herauskommt, kann man bestenfalls noch zum Verschneiden nehmen, zur Herstellung von Blended Whisky also.)
Die verschiedenen Fässer, die für die Lagerung verwendet werden (teilweise werden auch aus den USA Fässer importiert, in denen Bourbon gelagert wurde, der muss nämlich in neue Eichenfässer abgefüllt werden, ja, aber die alten Fässer kann man doch nicht einfach wegwerfen, sagt sich auch da der Schotte…) und die verschiedenen Landschaften Schottlands mit ihren ganz individuellen Aromen sorgen dafür, dass man bei schottischem Single Malt eine Geschmacksvielfalt vorfindet, bei der man sich wundert, dass alle diese unterschiedlichen Getränke unter einem Namen laufen, Whisky eben.
Natürlich kann man Whisky in Cola kippen. Man kann ganze Gletscher von Eis hineinschütten. Man kann alles Mögliche machen, um diesem wundervollen Getränk seinen Geschmack auszutreiben. Man kann sich auch völlig sinnlos damit betrinken.
Aber muss es dann wirklich ein schottischer Single Malt sein? Dafür reicht doch billiger Fusel.
Whisky muss man langsam und in Ruhe trinken. Man muss ihm zuhören. Man sagt, ein guter Wein erzähle einem eine Geschichte darüber, wo er herkommt. So gesehen erzählt ein schöner Single Malt gleich zwei Geschichten, eine über den Wein, in dessen Fass er gelagert hat, und eine über den Teil Schottlands, aus dem er stammt.
Man muss ihm nur Zeit geben.
Whisky ist zwar das bekannteste Ergebnis der wunderbaren Effekte schottischer Sparsamkeit, aber beileibe nicht das einzige. In der kleinen Stadt Pitlochry (wo es, selbstverständlich, auch eine Distillery gibt, in der einem, wie in jeder Brennerei Schottlands erzählt wird, dass von hier der beste Whisky des Landes kommt) habe ich die Herstellung von Heather Gemstones kennengelernt, übersetzt also „Heide-Edelsteine“.
Bei aller Sparsamkeit möchten auch schottische Frauen gern mal ein Schmuckstück tragen, einen Edelstein in schöner Fassung zum Beispiel. Was aber tun, wenn solche Edelsteine erstens teuer sind und in Schottland auch nicht überall in der Gegend herumliegen? Man bleibt Schotte: Man nimmt das, was man ohnehin (leider) in zu großer Menge hat, nämlich Heidekraut. Gegen das führen die Schotten ohnehin einen nahezu aussichtslosen Kampf, weil es ganze Gegenden als Weideflächen unbrauchbar macht und alles andere überwuchert.
Also wird das Kraut „geerntet“, die Stengel werden geschält, getrocknet und gefärbt. Diese gefärbten Stengel werden dann mit hohem Druck gepresst, geschnitten und geschliffen, es kommen geheimnisvolle Lacke ins Spiel – und fertig ist am Ende etwas, das tatsächlich wie ein echter und exotischer Edelstein aussieht. Man muss ja niemandem erzählen, dass es sich dabei um nichts anderes als Unkraut handelt.
Und ich werde mir jetzt ein Glas schottischen Whisky genehmigen, ihm gut zuhören und mir dabei fest vornehmen, in den kommenden Wochen mit meinen Blogbeiträgen nicht so sparsam zu sein wie im vergangenen Vierteljahr.