„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-2012), Dritter Teil


„Die Natur war aber stärker“ – Auguste L. (1916-2012), Dritter Teil

Haftzeit, Ringen um Strafunterbrechungen

 

Nach der Urteilsverkündung am 21.9.1942 musste Auguste L. noch bis zum 23.9.1942 im Polizeigefängnis Frankfurt/M. verbringen. Vom 23.9.1942 bis zum 3.10.1942 war sie im Frauengefängnis Frankfurt-Höchst inhaftiert. Vom 3.10.1942 bis zum 5.10.1942 befand sie sich „auf Transport“ zum Frauenzuchthaus Ziegenhain im damaligen Bezirk Kassel, heute Schwalm-Eder-Kreis. Dort musste sie ihre Haftzeit bis zum 1.4.1943 verbüßen und konnte dann mit Hilfe ihres Anwaltes Joseph H. aus Frankfurt-Höchst eine erste Strafunterbrechung bis zum 12.12.1943 erwirken.

Die „National-Sozialistische Kriegsopferversorgung e.V.“ der „Kameradschaft Katzenelnbogen“ aus dem „Gau Hessen-Nassau“ verfasste am 21. Oktober 1942 ein Schreiben an das Sondergericht Frankfurt am Main und bat „um Zusendung einer Abschrift von dem Sondergerichtsurteil gegen die Kriegerwitwe Frau Auguste L. aus B. (U.kreis). Frau L.“ habe sich „mit Kriegsgefangenen im Geschlechtsverkehr eingelassen.“ Die Berücksichtigung, dass im Urteil nur von einem Kriegsgefangenen die Rede war, hätte wahrscheinlich nichts geändert an der Absicht, Auguste L. weiter zu schaden: „Die Abschrift wird benötigt zur Ausschlußerklärung aus der National-Sozialistischen Kriegsopferversorgung durch den Reichsehrenhof der NSKOV.“[1]

Der Rechtsanwalt Auguste L.s setzte am 20. Februar 1943 ein Schreiben an die Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf, in dem er beantragte, „der Angeklagten eine Strafunterbrechung von mehreren Monaten zu gewähren“. Als Gründe nannte er, dass „in allernächster Zeit die Frühjahrsbestellung wieder“ angehe, „und wie nun einmal die Verhältnisse im Hause der Angeklagten liegen, wäre diese bei der dort zu vollbringenden Arbeit dringend nötig. Ihre verheiratete Schwester, deren Ehemann im Felde ist, hat selbst eine Gärtnerei aufrecht zu erhalten, und sie muss ausserdem auch ihre eigenen und die minderjährigen Kinder der Angeklagten mitversorgen, sodass sie die Angeklagte in der Landwirtschaft selbst auf keinen Fall ersetzen kann. Der Vater der Angeklagten war im Jahre 1939 sehr krank, er hat einen Gehirnschlag erlitten. Seitdem ist er nur noch in der Lage, leichte Arbeiten zu verrichten. Aus dem Verwandtenkreis ist auch keine Hilfe zu erwarten. Die einen stehen im Felde, andere sind bereits in wehrwichtigen Betrieben tätig. Fremde Hilfe ist für die Familie der Angeklagten auch nicht tragbar, denn bares Geld ist kaum vorhanden. Ausserdem werden ja auch Arbeitskräfte sonst dringend überall benötigt. Da nun im vorliegenden Falle 13 Morgen Land zu bewirtschaften sind und doch kein Stück Land brach liegen darf und soll, bitte ich, der Angeklagten eine Strafunterbrechung von einigen Monaten zu gewähren, damit sie in der Lage ist, die Bestellung des Landes vorzunehmen und für das rechte(!) zu sorgen.“

Um seine Aussagen zur prekären Lebenssituation Auguste L.s und ihrer Familie zu untermauern, legte der Anwalt ein „Attest des Ortsbauernführers in B.“ bei „sowie ein ärztliches Attest des den Vater behandelnden Arztes“.

Der Oberstaatsanwalt bei dem Sondergericht Frankfurt am Main ersuchte am 25. Februar 1943 die Ortspolizeibehörde B. „um Feststellung, ob die Verurteilte dringend zur Erntehilfe erforderlich“ sei und schlussfolgerte schon selbst lakonisch: „Es dürfte eine andere Arbeitskraft (Ausländer) sicherlich ausreichend sein.“

Dem widersprach jedoch der Bürgermeister von B. als Ortspolizeibehörde am 12. März 1943, indem er zu bedenken gab, dass „eine fremde Arbeitskraft (Ausländer) […] im vorliegenden Falle nur in Frage“ käme, „wenn diese von Vornherein vollständig mit den Gemarkungs-örtlichen und häuslichen Verhältnissen vertraut und voll und ganz in der Landwirtschaft ausgebildet und eingearbeitet wäre. Eine solche Kraft dürfte aber schwerlich zu bekommen sein. Andererseits“ stehe „auch für die Unterweisung und Einarbeit(!) einer fremden Hilfe niemand zur Verfügung. Der Vater kann es nicht wegen seines Gesundheitszustandes, die ältere Schwester hat dazu keine Zeit.“

Auch der letzte Absatz des Schreibens enthält Aussagen, denen sich der Oberstaatsanwalt nicht verschließen konnte, zumal der Bürgermeister mit einem Vorschlag aufwartete, der die „Gefahr“ eines erneuten Antrags auf Haftunterbrechung im Folgejahr zu unterbinden suchte:

„Die Volksernährung ist für die Kriegsdauer unbedingt zu sichern. Aus den vorgetragenen Gründen halte ich es für ratsam und das beste, die Verurteilte während der Frühjahrs(-) und Sommerzeit für einige Monate zu beurlauben, damit sie – die Hauptperson in der elterlichen Landwirtschaft – eine fremde weibliche Kraft für jetzt und das nächste Jahr heranbilden und einarbeiten kann. Es ist damit zu rechnen, daß die Verurteilte auch im kommenden Jahr,(!) einen Antrag auf Strafunterbrechung stellen wird. Durch eine Regelung in der vorgeschlagenen Weise würde dem ein Riegel vorgeschoben, und Frau L. könnte nach der diesjährigen, einmaligen Strafunterbrechung demnächst den Rest der Strafe in einem Zuge verbüßen.“

Am 23.3.1943 ordnete der Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main in einer Mitteilung, welche sich die Argumente des B.er Bürgermeisters zu eigen machte, an Auguste L. an, „dass Ihre Strafvollstreckung vom 1.4. bis 1.10.43 unterbrochen wird. In dieser Zeit sollen Sie zu Hause in der Landwirtschaft helfen und eine Ersatzkraft für Sie anlernen. Eine Verlängerung der Haftunterbrechung über den 1.10.43 kommt nicht in Frage.“

(wird fortgesetzt)

 

 

[1] Auguste L. hatte bis dahin eine Kriegerwitwenrente von monatlich 155,- Reichsmark erhalten.Haftzeit

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