Pontifex maximus en miniature
31.07.2016 (12:00 Uhr)
Gerade eben ist der 31. Weltjugendtag der katholischen Kirche in Krakau mit einer Messfeier vor geschätzten 1,5 Millionen Teilnehmer/-innen zu ende gegangen.
Papst Franziskus wies in seinen Reden und Predigten immer wieder darauf hin, dass es in der weltweiten Realität des Krieges, des Hasses, der Zerstörung, auch immer wieder Brücken der Verständigung gibt. Brücken der Verständigung, Brücken der Barmherzigkeit, Brücken der Nächstenliebe, Brücken zu uns Einzelnen und in uns, etwa über unsere Angst, über unsere Verzagtheit, über unseren Groll, unseren Hass, und unser eigenes Ressentiment hinweg. Diese Realitäten in uns und um uns herum hat der Papst gerade nicht „ausgespart“ oder verschwiegen, sondern hat sie zum Thema seiner Ansprachen gemacht. Er hat all das, was man so gerne verdrängt, hereingeholt in seine Reden, gab diesen Themen Wort, Raum, An-Sprache — und deutete sie neu im Lichte der Barmherzigkeit. Der Papst als „Bückenbauer“. Einstmals ein Ehrentitel, etwa bei den römischen Cäsaren als „Pontifex maximus“ (von lat. „pons“ = Brücke und „facere“ = machen, tun, hier im Sinne des Bauens).
Was diesen Papst Franziskus jedoch von seinen Amtsvorgängern — sie alle hatten ihre eigenen Meriten für die katholische Amtskirche — wesentlich unterscheidet, ist meines Erachtens, dass er tatsächlich im „Zentrum der kirchlichen Macht“ ganz und gar „franziskanisch“ geblieben ist: Weder wohnt er in einer sündhaft teueren Loggia im Zentrum Roms, noch fährt er eine „Staatskarosse“, vielmehr hat er allen Prunk rund um sein Amt auf ein vernünftiges Maß reduziert. Ganz im Sinne des sog. „Katakombenpaktes“ (d.i. eine Verlautbarung von zunächst 40 Bischöfen aus aller Welt in den Domitilla-Katakomben vor den Toren Roms, kurz vor Ende des II. Vatikanums, 16. Nov. 1965. Tenor dieser Schrift: „Für eine dienende und arme Kirche“ tätig zu sein), fährt Papst Franziskus mit der Straßenbahn durch Krakau, nimmt spontan Jugendliche in seinem „Papamobil“ mit, und ist nicht nur bei den „Leuten“, sondern ist wirklich einer von ihnen. Er baut mit seinen Worten Brücken zwischen Glauben und profaner Welt, zwischen Amt, der Hierarchie des Klerus und den Laien vor Ort, die er nicht nur zu einer „päpstlichen Audienz“ trifft, sondern denen er als Papst und Mensch — als dieser Jorge Mario Bergoglio — begegnet. Er lässt im guten Sinne Theologie und Glauben lebendig werden. So baut er etwa eine lebendige Brücke, wenn er die Teilnehmer/-innen des Weltjugendtages auffordert, sich die „Hand zu reichen“ — und mehrere hunderttausend Besucher folgen dieser Aufforderung, ohne Unterschied der Funktion noch des gesellschaftlichen Status. Franziskus lässt die Menschen erleben, dass Brücken aus Einigkeit und Einheit mitten in Zeiten des Krieges und des Terrors dennoch möglich sind. Fremde Menschen — aus allen Kontinenten — reichen sich die Hand, überbrücken für diesen einen Moment das Trennende, das faktische Anders-Sein, das nun bedeutungslos ist, und schaffen eine Situation der „geschwisterlichen Liebe“. Diese eine Szene atmete gleichsam den Geist von Taizé: Über alles faktisch uns Trennende hinweg, ist dennoch wechsel-seitiges Verstehen als Gemeinschaft möglich. Ut unum sint.
So mag denn in der Bilderflut dieses 31. Weltjugendtages ein einziges Bild als Miniatur für die Authentizität dieses Papstes stehen: Zur Gabenbereitung wurden „Brot und Wein“ von verschiedenen Personen zum Altar hoch getragen. Darunter auch ein Ehepaar mit seinen beiden Kindern — einem Jungen, vielleicht 3 Jahre alt, und einem aufgeweckten, fröhlichen Mädchen, vielleicht 5 Jahre alt. Und wäre das Mädchen nicht an der Hand gehalten worden, so wäre sie wahrscheinlich ganz einfach die Stufen hinaufgehüpft und hätte die dort versammelten „Würdenträger“ alle umarmt. Kinder dieses Alters sind noch so spontan und authentisch. Sie übersehen all die Kameras, die die Szene in alle Welt übertragen; sie sehen nicht die hunderttausend Augen, die auf den Papst und sie gerichtet sind; sie bedenken nicht die Reichweite ihres Tuns. Sie sind einfach nur spontan und authentisch und als Menschen-Kind ganz „da“. Das kirchliche Protokoll sah so viel Natürlichkeit und Spontaneität natürlich nicht vor. Also wurde die Kleine dezent von ihren Eltern „ausgebremst“. Jedoch nicht ganz. Denn als der Papst die Gaben gesegnet und angenommen hatte, legte er segnend seine Rechte auf den Kopf der Kleinen wie auch auf jenen ihres Bruders. Da ergriff das Mädchen die Hand des Papstes und küsste sie. Sie rief ihm irgend etwas noch zu und der Papst, der „Stellvertreter Christi auf Erden“, neigte sich ebenso spontan dem Kind zu, und beide umarmten sich in großer, authentischer Freude. Eine zutiefst menschliche, innige Geste, die keine 5 Sekunden dauerte, und doch von ungeheuerer Reichweite ist. Ein Papst zum Anfassen. Ja, wo hat’s denn so etwas schon einmal gegeben? Da könnt‘ ja jeder daher kommen…! Exakt. Bei Jorge Mario Bergoglio, dem ersten Jesuiten auf dem „Stuhle Petri“ in Rom, ist dies tatsächlich möglich. Ein Papst, ganz Mensch, der nicht nur die Kinder zu sich kommen lässt (vgl. Lk. 18,16), sondern jeden Menschen ohne Unterschied seiner gesellschaftlichen Position, seiner Hautfarbe, seiner Konfession. Ein Pontifex maximus, der zu Menschen Brücken der Zu-Neigung baut. Ein Mensch, als Papst, der lediglich weitergibt, was er aus einer anderen Wirklichkeit, was er aus einer anderen Quelle — nicht wie die Welt gibt — selbst empfangen hat: Zuneigung aus Liebe. Eine Liebe, die umso mehr wird, je mehr wir sie teilen — gerade so, wie das Licht einer einzigen (Oster-)Kerze schon die „Finsternis“ vertreibt, solange, bis „Kerze“ um „Kerze“ endlich den ganzen „Raum“ unseres Mensch-Seins erhellt.