Die Erschießung des französischen Gymnasialprofessors Léonard Constant in Mainz
Eine Episode aus der Separatisten-Zeit, Teil V/VI
Gerichtsverhandlung und überraschendes Urteil
Das französische Kriegsgericht legte am 19. Dezember 1923 dem Angeklagten Schmitt die vorsätzliche Tötung Léonard Constants zur Last, was vom Angeklagten bestritten wurde. „Im weiteren Verlauf des Verhörs […] wurde festgestellt, dass Schmitt […] in den Diensten der franz. Sicherheitspolizei tätig war“. Zeugenaussagen belasteten den Angeklagten, doch „nach der beeidigten Zeugenvernehmung verlas der Vorsitzende ein Schreiben der Frau Constant, der Gattin des Verstorbenen, in dem diese um Milde für den Attentäter gegen ihren Mann bat. Nunmehr wurde dem Angeklagten das Wort erteilt. Der Anklagevertreter beantragte gegen den Angeklagten wegen vorsätzlicher Tötung lebenslängliche Zwangsarbeit. Während des nun folgenden Plädoyers des Vertreters des Angeklagten, eines Rechtsanwalts aus Wiesbaden, erwähnte der Verteidiger […], dass Schmitt seine Tat aufrichtig bereue und dies dem Gerichtshof auch zu sagen wünsche. Nach der Verteidigungsrede wurde dem Schmitt das Wort erteilt. Schmitt bat den Gerichtshof um Milde, da es ihm ferngelegen habe, einen Menschen zu töten, vor allen Dingen bereue er aufrichtig seine Tat, weil Herr Prof. Constant, wie er gehört habe, ein hervorragender Mensch gewesen sei.“
Aus der Akte geht nicht hervor, dass Schmitt wegen seiner Schießwut, wie sie für den 23. Oktober 1923 vom Zeugen Wilhelm Hottop schon für den Vormittag des Tages zu Protokoll gegeben worden war, noch belangt oder ein gesondertes Verfahren anberaumt wurde; der Umstand wurde nach der Aktenlage nicht einmal während der Verhandlung erwähnt. Wenn dies schon verwunderlich erscheint, ist das Urteil regelrecht verblüffend. Der Mainzer Anzeiger vom 20.12.1923 zitierte aus dem „Echo du Rhin“ einen Artikel über die Verhandlung:
„Gestern Vormittag erschien vor dem franz. Kriegsgericht in Mainz der Angeklagte Schmitt, der am 23.10. d.Js. den Professor des franz. Lyceums Léonard Constant durch einen Revolverschuss tötlich(!) verletzt hatte. Während der Verhandlung hat der Präsident des Kriegsgerichts folgenden Brief vorgelesen, der ihm von Frau Constant zugegangen ist: Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte nicht einen Unglücklichen vor einem Menschengericht erscheinen lassen, dessen Tat vielleicht den Tod meines Mannes hervorgerufen hat, ohne auf ihn jene christliche Barmherzigkeit herabzurufen, für welche Léonard Constant ja selbst gefallen ist. Mein Mann hat in seinem Testament folgendes geschrieben: ‚Ich verzeihe allen denjenigen, die mir irgendein Leid zugefügt haben.’ Es liegt nicht in meiner Absicht, das Gewissen der Richter zu beeinflussen. Doch bitte ich Sie, sich zu erinnern, dass das Opfer gestorben ist, indem es vorerst dem Täter verziehen hat. Auf seine Bitte hin leben die Witwe und die Kinder, das Andenken dieser edlen Tat weiter tragend. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Präsident, diesen Brief dem Kriegsgericht vorzulesen. Hochachtungsvoll N.L. Constant.
Gerührt durch diese Grossmütigkeit, die das Opfer an den Tag gelegt hat, hat das Kriegsgericht den Angeklagten Schmitt zu 2 Jahren Gefängnis mit Strafaufschub verurteilt.“
Eine handschriftliche Ergänzung teilt mit, dass Schmitt „ins Kloster gegangen“ sei.