Die Erschießung des Professors Léonard Constant


Die Erschießung des französischen Gymnasial-Professors Léonard

Constant in Mainz

Eine Episode aus der Separatisten-Zeit, Teil IV/VI

 

Entschädigungs-Forderung an die Stadt Mainz

Die Gerichtsverhandlung gegen den mutmaßlichen Täter Schmitt hatte noch nicht begonnen, als der stellvertretende Mainzer Oberbürgermeister Wilhelm Ehrhard ein Schreiben vom Oberdelegierten der Provinz Rheinhessen bei der Interalliierten Rheinlandkommission, einem Mann namens Spiral, erhielt. Es datiert vom 10. Dezember 1923 und war mit einer Zahlungsaufforderung an die Witwe Léonard Constants in Höhe von 100.000 Goldmark als Entschädigung verbunden. „Im Weigerungsfalle zur freiwilligen Zahlung“ drohte Spiral mit „Beschlagnahme bis zur Höhe des Betrages von 100 000 Goldmark in den öffentlichen Kassen von Mainz“.

Grundlage des Schreibens bildete ein Entschädigungsantrag „von der Familie des frz. Staatsangehörigen Herrn C o n s t a n t, Professor am franz. Gymnasium in Mainz […], welcher am 23. Oktober 1923 auf der Strasse in Mainz im Verlaufe von Wirren und Unruhen getötet wurde, als er einem Verwundeten zu Hilfe eilen wollte.“ Das Opfer habe „im Verlaufe einer Kundgebung auf öffentlicher Strasse den Tod“ gefunden, es könne ihm „in keiner Weise irgend eine Verantwortung für die Ereignisse […] zur Last gelegt werden […] sondern im Gegenteil“: Léonard Constant habe „einem Gefühl von Hochherzigkeit und Hingebung Folge geleistet.“

Unter Berufung auf die Verordnung Nr. 186 der Interalliierten Kommission der besetzten Rheinlande, die sich beziehen würde auf das deutsche Gesetz vom 12. Mai 1920 (Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden), legte Spiral drei Artikel fest:

Artikel 1. Die Stadt Mainz wird an Frau Constant den Betrag von 100 000 Goldmark bezahlen, und zwar die Hälfte an sie persönlich, und die andere Hälfte zu Gunsten ihrer minderjährigen Kinder.

Artikel 2. Vorbehalt wird für den Regressanspruch gemacht, welchen die Stadt Mainz gegen die anderen verantwortlichen Gemeinschaften nach dem Wortlaut der Bestimmungen des deutschen Gesetzes vom 12. Mai 1920, auf welche sich die Verordnung Nr. 186 bezieht, erheben kann.“

Artikel 3. beschrieb Konsequenzen im Weigerungsfall, wie oben dargelegt.

Die Zahlung sollte bis zum 25. Dezember „sichergestellt“ sein und darüber Mitteilung erfolgen.

 

Die Mitteilung fiel anders aus, als es sich der Oberdelegierte der Provinz Rheinhessen bei der Interalliierten Rheinlandkommission, Herr Spiral, vorgestellt haben mag. Der stellvertretende Oberbürgermeister Wilhelm Ehrhard, promovierter Jurist, bestritt die von Spiral angeführten rechtlichen Grundlagen für die Zahlungsforderung des Oberdelegierten der HCITR für die Provinz Rheinhessen an die Stadt Mainz zu Gunsten der Witwe Léonard Constants. Seine Argumentation lautete, dass von „einer öffentlichen Unruhe im Sinne des deutschen Gesetzes vom 12. Mai 1920, auf die sich die Verordnung der HCITR Nr. 186“ beziehe, nicht gesprochen werden könne. Im Kern zielte der Oberbürgermeister darauf ab, dass die Verantwortung, welche der Stadt Mainz von den französischen Besetzern für den tragischen Vorfall aufgebürdet wurde, nicht vorhanden war – ja, sogar durch die Bestimmungen der Besetzer verunmöglicht worden war: „Die deutschen Beamten einschliesslich der deutschen Polizei, die sich im Kreisamt befanden, konnten keinen Widerstand leisten, weil ihnen ausdrücklich von den franz. Behörden verboten war, zu schiessen. Die Separatisten konnten infolgedessen das Kreisamtsgebäude besetzen. Franz. Truppen und franz. Gendarmerie übernahmen dann die Bewachung des Kreisamtsgebäudes. Den deutschen Polizeibeamten war der Zutritt in das Kreisamt unmöglich. Die Separatisten zogen daraufhin im Kreisamt die Fahne der rheinischen Republik auf. Die Bevölkerung war über dieses Vorgehen der Separatisten, mit denen sie nichts zu tun haben wollte(,) aufs Aeusserste empört. Irgendein gewalttätiges Vorgehen gegen die Separatisten im Kreisamt unterblieb aber, weil die verantwortlichen Führer der Bevölkerung fürchteten, dass bei dieser Gelegenheit es zu irgend einem unliebsamen Zwischenfall mit den Beamten der Kreisdelegation oder den zu ihrem Schutze im Kreisamt befindlichen franz. Truppen kommen könne.“

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