Umkehr wagen
09.02.2016
Umkehr aus
dem Fehlverhalten
unserer Zeit
ist möglich —
ohne “wenn“ und “aber“
Von Abbé Pierre (1912-2007) stammt der sinngemäße Satz, dass wir, obschon wir selbst nicht außergewöhnlich sind, dennoch Außergewöhnliches vollbringen können.
Umkehrung der verschiedenen Situationen von Fehlentwicklungen unserer Tage ist möglich. Wir können all jene “Sackgassen“ (“dead end streets“), diese Irrwege des Lebens, all diese falschen “Entwürfe“, die im Niedergang, die im Untergang unserer selbst wie auch unserer Kulturen enden, verlassen. Wir können die Not wenden, das Not-wendende, das “Nötige“ tun, selbst dann, wenn wir nicht außergewöhnlich begabt oder gar talentiert sind. Umkehr beginnt in kleinen, kon-sequenten (von lat. con-sequor, unmittelbar folgen z.B. einer Ursache als Wirkung folgen; sich aneignen), d.h. anbauenden und an Erreichtem aufbauenden Schritten. Jeder kann sie leisten. Jeder kann seinen “Blick-Winkel“, seinen “Stand-Punkt“, seine “Denke“, kurz: seine Geistes-Haltung bedenken und, gegebenenfalls die Fehlhaltungen hierin, korrigieren.
Wenn wir als Einzelner, etwa als Suchtkranker (workaholic, sexoholic, mobile-o-holic, ect.pp.) am “toten Ende“ unseres Lebens-Irrweges angekommen sind, dann ist es doch nur sinnvoll, jene krankhafte “Seite in uns“, jene Fehlhaltung unseres Geistes, dahin gehend zu korrigieren, wo gesundes Leben — ohne das Gefängnis der Sucht — wieder Lebens-wert ist. Ohne “wenn“ und “aber“. Denn all diese “wenns“ und “abers“ haben uns ja gerade dorthin geführt, wo wir nun angekommen sind: am toten Punkt, am Tod-Punkt/“Nullpunkt“, unseres Lebens. Es sind ebendiese “wenns“ in uns, die unserem Verstand immer wieder neue Bedingungen, Ursachen, Vermeintlichkeiten, etc. liefern, damit sich unser Fehl-Verhalten nicht zu ändern braucht. Und versuchen wir dies dennoch zu ändern, dann sind sofort 100.000 “abers“ als Einwände, als Einwendungen zur Stelle, damit die “Wendung“ unserer Not scheinbar un-möglich wird. Das Verhängnis unseres Mensch-Seins heutzutage sind ebendiese “wenns“ und “abers“, die die Wände unseres Gefangen-Seins in unseren geistigen Fehlhaltungen “sanktionieren“ (vgl. lat. sanctus), d.h. diese quasi “heilig-sprechen“, unverrückbar festsetzen, unverbrüchlich machen. Und dennoch — wir wissen dies alle: Wenn wir schon sowohl als Einzelner wie auch als Menschheit im Ganzen nur noch einen Fingerbreit vor dem Abgrund stehen, wenn wir schon mit unseren “Hintern an der Wand“ stehen (vgl. Song von Stevie Wonder “Heaven help us all“), wäre es nicht gerade jetzt der beste Zeitpunkt, der kairós, den Schritt zurück, den Schritt heraus, den Fort-Schritt zu wagen? Was konkret haben wir denn zu verlieren? Unsere Krankheit, unsere Not, unseren “Tod“.
“Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, heißt ein “Wink“ an uns von Hölderlin. Wohin könnten wir uns wenden? Nun, Menschen wie Abbé Pierre, Roger Schutz, Mutter Teresa aus unserem Kulturkreis, aber auch Menschen wie etwa Mahatma Gandhi, Rabindranath Tagore, Jiddu Krishnamurti, Swami Vivekananda aus dem indischen Kulturraum, oder die berühmten Weisen und Zenmeister der asiatischen Kulturen (Lao-tse, Kung-tse, Dschuang-tse; Obaku Ki-un, Rinzai, Ryōkan, etc.pp.), all diese Menschen folgten einem “Pfad“, der in ihrer Zeit ebenfalls schmal und hauchdünn wie ein Haar, aber zugleich auch so reißfest wie ein Spinnen-Faden war. Dieser “Pfad“ verläuft seit Anbeginn der Zeiten nicht nur durch unsere Welt, sondern verbindet als “Band“ alles Seiende miteinander. Davon waren diese Menschen zutiefst überzeugt. Seine Kraft gestaltet diese Welt, ohne dass sie von dieser Welt ist. Sie wirkt immanent und ist doch numinos, trans-scendent. Als ob sie aus einem Anderen auf uns Menschen zukäme, von “außen“, wirkt sie zutiefst in unserem Innersten. Es ist der Pfad, die Kraft, die Wirkung, kurz: die Wirklichkeit der Liebe. Denn wo Liebe lebt und “wohnt“, dort verwandeln sich Zwietracht in Eintracht, Hass, Hader und Krieg in Frieden, Ausbeutung in Respekt vor…, Oberflächlichkeit in Tiefe und Andacht, Getöse der Formen und Erscheinungen in schweigende Stille, Hektik und Getrieben-sein unseres Alltags in Ruhe unseres “Herzens“, das Getrennt-Sein aus “Ich“ und “Du“ in die lebendige Gemeinschaft eines “wir“. Wäre dieser Weg, zum Jahres-Beginn (2016), nicht ein Lebens-Weg, der alle Mühen lohnt…—? Umkehr ist möglich — ohne wenn und aber.