Besuch des Bischofs, Teil 3


Besuch des Bischofs, Teil 3

 

Bevor die Kameraden darauf eingehen können, greift wieder einer der sieben Rektoren nach dem Tischglöckchen, das er – sitzend – anschlägt. Ich reagiere und verfüge mich folgsam zur dritten Tischreihe, wo ich von einer grinsenden Schülergruppe – Mittel- bis Oberstufenschüler – empfangen werde. Natürlich hat während meines kleinen Wegs von der einen zur andren Tischreihe der Essensgang wieder gewechselt: Nun stehen Nachtisch (Schokoladenpudding) und Wein bereit. Die jungen Burschen kippen das Glas Wein in einem Zug herunter. Sie blicken mich mit Imponiergehabe an, dann sagt einer:

„Wir wissen, was Deutschland not tut, bestimmt nicht dieses Pfaffentheater hier!“ (Allgemeine Zustimmung um mich herum. Der Redner fährt fort und hat Mühe, nicht in theatralische Gesten und eine zu laute Stimmlage zu verfallen, die Aufsehen erregen könnten.) „Gestern haben wir Flagge gezeigt, ein Zeichen gesetzt! Eine Demonstration in B. gegen den undeutschen Geist, der immer noch in vielen Lehrer-, Pfaffen- und Erziehergehirnen spukt!“ (Allgemeine Zustimmung um mich herum.) „Gegen diese Kräfte der Reaktion muss jetzt energisch Front gemacht werden!“ (Allgemeine Zustimmung um mich herum.)

Das Aufsehen im übrigen Speisesaal einschließlich des „Herrentisches“ ist längst geschehen. Als dies einer der Zuhörer bemerkt, sagt er zum Redner:

„Du, Adri, die schmeißen uns raus wegen gestern! Vielleicht schon gleich nach dem Essen!“

„Sollen sie!“, entgegnet Adri, „in M. heizen unsere Kameraden dem Bischof ordentlich ein! Lange läuft der Kasten hier nicht mehr, ich sags euch!“ (Er meint wohl das Konvikt.) „Außerdem – wenn sie uns wirklich rausschmeißen – weiß ich ein schönes Abschiedsgeschenk.“

Er winkt seinen Zuhörern, die ihre Köpfe beisammen stecken. Was der Schüler tuschelt, verstehe ich nicht, so sehr ich mich auch anstrenge, zuletzt sagt er laut:

„Ich verlasse mich auf euch! Das ist ein Befehl, verstanden?“

Drei der Burschen nehmen augenblicklich Haltung an (im Sitzen), als befänden sie sich beim Militär und antworten mit einem zackigen:

„Jawohl!“

Schüler Adri sagt noch:

„Esst euren Schokoladenpudding!“

Die Hitlerjungen greifen gehorsam zum kleinen Löffel. Um mich kümmert sich keiner mehr. Einer der sieben Rektoren steht auf und schlägt das Glöckchen an:

„Heute ist ein denkwürdiger Tag, und Großes steht uns noch bevor. Damit auch unsere Musiker daran teilhaben können, bitte ich sie jetzt mit Applaus in die Küche zu verabschieden, wo sie das hochfeudale Festessen nachholen können. (Applaus, die Musiker ab) ’Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil’, sagt der Dichter, und so muss auch ich an einem festlichen Tag wie diesem zuerst etwas Unangenehmes verkünden: Der Oberprimaner Heinrich P. wird wegen fortgesetzter unreligiöser Haltung und völliger Verachtung alles Heiligen mit sofortiger Wirkung aus dem Konvikt verwiesen. Ebenso werden wegen feindlicher Gesinnung gegen die Konviktleitung mit sofortiger Wirkung des Hauses verwiesen die Sekundaner Adri H., Joseph G., Heinrich H. und Hermann G. Andere Zöglinge, die gestern bei der Demonstration gegen unseren hochwürdigen Herrn Rektor, gegen Mitglieder des Lehrkörpers des Gymnasiums und gegen den hochwürdigen Herrn Stadtpfarrer sich beteiligt haben, werden belegt mit dem consilium abeundi, worüber Mitteilung an die Eltern erfolgt. Die namentlich Genannten sollen nun ihre persönlichen Sachen packen. Herr Subrektor Dr. G. wird ihnen den Schlafsaal aufschließen und ihre Entfernung aus dem Konvikt überwachen.“

Der Rektor blickt zu Subrektor Dr. G., der aufsteht und in Richtung der Genannten schaut. Diese verlassen unter lastendem Schweigen den Speisesaal. Keiner der relegierten Schüler wagt ein Wort zu sprechen, sogar die Hitlerjungen sind eingeschüchtert; einen trotzigen Blick wirft Adri H. dann aber doch noch in die Runde. Das Schweigen hält noch eine Weile an, als sich die Tür des Speisesaals hinter Subrektor Dr. G. und den Sündern geschlossen hat. Dann wendet sich der Rektor erneut an die Hausgemeinschaft:

„Großes, sagte ich, steht uns noch bevor – (nach bedeutungsvoller Pause, mit feierlicher Stimme) der Besuch Seiner Ehrwürdigen Exzellenz, unseres lieben Oberhirten, Bischof Dr. Ludwig M. H.!“

Tosender Applaus erfüllt den Speisesaal, ich blicke in glänzende, begeisterte und freudig erregte Gesichter. Der Rektor fährt fort:

„Unsre Blechmusiker halten sich zur Verfügung, ebenso unser Chor! Wir bilden ein Spalier von der Hauptpforte bis zur K.bergstraße, und zwar hoch bis zur D.städterstraße, wo Seine Ehrwürdige Exzellenz mit dem Automobil einfahren wird. Seine Ehrwürdige Exzellenz hat in der Stadtkirche Firmungen vorgenommen – auch vier Zöglinge unseres Hauses haben das heilige Sakrament empfangen – und will vor der Heimfahrt nach M. noch sein Konvikt besuchen. Die Oberstufenschüler unterstützen die Konviktleitung.“

 

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